BlickWECHSEL – Ausgabe Nr. 2

Ausgabe Nr. 2

AUFRUF ZUR BETEILIGUNG ALLER WAHLBERECHTIGTEN MENSCHEN
MIT MIGRATIONS- UND FLUCHTHINTERGRUND
AN DEN KOMMUNALWAHLEN IM LANDKREIS DIEPHOLZ

GEH‘ WÄHLEN UND GIB DEINE STIMME den demokratisch geprägten Parteien wie Bündnis 90 /Die Grünen, SPD, Die Linke, CDU und FDP …
Erneut stehen wieder einmal Wahlen vor unserer Tür. Erneut werden leider wieder wahlberechtigte Migranten und Flüchtlinge bei uns im Landkreis Diepholz von keinem der Rathäuser oder der Landkreisverwaltung darüber aufgeklärt, um was für eine Wahl es geht.

Es wird nicht einmal der Versuch unternommen, mit der einzigen säkular demokratischen Migrantenselbstorganisation im Landkreis Diepholz, die hier die Integration der Migranten und Flüchtlinge fördert, darüber ins Gespräch zu kommen und diese bei ihrer Integrationsarbeit beziehungsweise bei folgenden Fragestellungen zu unterstützen: Wie gehen Migranten und Flüchtlinge mit der Kommunalwahl um? Was fordern sie? Brauchen sie Unterstützung seitens des Landkreises, um eine Aufklärungskampagne über die Wahlen im Wahljahr 2021 unter den wahlberechtigten Migranten und Flüchtlingen zu führen? Wie funktioniert das niedersächsische Kommunalwahlsystem?

Und nicht nur die Rathäuser und Gemeindeverwaltungen, sondern – mit Ausnahme einzelner, sehr demokratisch geprägter Kommunalpolitiker – auch die demokratischen Parteien geben uns keine Antworten auf diese Fragen, was nur einen Grund hat: sie haben Probleme damit anzuerkennen, dass unsere Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist; dies wird nicht akzeptiert.

Der überwiegende Teil der Migranten und Flüchtlinge, egal aus welchem Land, wird in unserem Landkreis Diepholz auf politischer Ebene meist nicht als Bürger des Landkreises gesehen. Dies zeigt sich zum Beispiel auch bei den politischen Parteien in den Kommunen, wo – mit ein paar kleinen Ausnahmen – fast null wahlberechtigte Kandidaten mit Migrations- und Fluchthintergrund für den Kreistag oder für die Dorf-, Gemeinde- und Stadträte aufgestellt sind. Nach deren Meinung ist unser Aufenthalt hier im Landkreis Diepholz nicht “dauerhaft“, denn wir werden irgendwann wieder in unsere Herkunftsländer zurückkehren. Das aber könnt Ihr vergessen! Wir bleiben hier und werden unsere politischen Rechte, wie das Recht auf Wahlen, in einem zusammengeführten Kampf mit demokratisch geprägten Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern gemeinsam durchsetzen!

Liebe Migranten und Flüchtlinge,
mit unseren folgenden Informationen zum deutschen Wahlsystem möchten wir einen Beitrag zu eurer politischen Teilhabe leisten und stehen euch bei allen Fragen dazu zur Verfügung. Auch wenn du viele negative Erfahrungen hier im Landkreis Diepholz gemacht hast (auf dem Arbeitsmarkt, beim Zugang zur Schule und zum Kindergarten, im Umgang mit Ämtern, Behörden, dem Jobcenter, …): Geh‘ trotzdem zur Wahl!

GEH‘ WÄHLEN UND GIB DEINE STIMME DEN DEMOKRATISCH GEPRÄGTEN PARTEIEN wie Bündnis 90/Die Grünen, SPD und CDU, Die Linke, FDP, …!!!

Als wahlberechtigte Menschen mit Migrationshintergrund und als EU – Bürger sollten Sie zu den Wahlen gehen und Kandidaten der antirassistisch geprägten demokratischen Parteien (Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Linke, CDU, FDP, …) wählen.
Auch wenn wir bei all diesen Parteien hinsichtlich Ihrer Integrations- und Flüchtlingspolitik sowohl auf Bundes-, als auch auf Landes- und besonders auf Landkreisebene mehrere Kritikpunkte haben (wie beispielsweise darüber, dass der Landkreis Diepholz es in seinen Leitzielen “für die Politik und die Verwaltung des Landkreises Diepholz” vom 09.07.2012 nicht einmal für nötig hält, hinsichtlich Migranten, Flüchtlingen und deren gesellschaftliche, berufliche, politische, … Integration einen einzigen Satz zuschreiben), ist es unsere Aufgabe, diejenigen politischen Kräfte sowohl in den genannten Parteien als auch in der Basis, die sich für Migranten und Flüchtlinge einsetzen, zu unterstützen und sie in ihrer parteilichen Integrationspolitik für Migranten und Flüchtlinge in den eigenen Reihen zu stärken. –

Auch wenn in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Artikel 21 Absatz 1 steht: „Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen“, gilt dies leider für mehrere Millionen Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund weder auf kommunaler Ebene, noch auf Landes- oder gar Bundesebene. –
In Deutschland gibt es über 60 Millionen Wähler; davon sind mindestens 10 % Deutsche mit einem Migrationshintergrund. Das heißt, diese Menschen dürfen mitentscheiden, was in unserem Lande kommunal-, landes- und bundesweit geschehen wird. Und diese Zahl wird sich in den nächsten Jahren stark erhöhen. Das ist nicht mehr zu ändern und auch nicht rückgängig zu machen. Und diese Tatsache müssen die Politiker, ob auf kommunaler oder auf Landes- bzw. auf Bundesebene, in ihrem Handeln mitberücksichtigen.

Ebenfalls können sich aber auch mindestens 10 Millionen Menschen in Deutschland nicht an den Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen beteiligen (sogenannte Drittstaatsangehörige), obwohl diese Menschen seit Jahrzehnten ihren „staatsbürgerlichen Pflichten“ ohne Wenn und Aber nachkommen.
Das ist ein großes Defizit unserer Demokratie in Deutschland und eine Verletzung der Menschenrechte der Migranten und Flüchtlinge; denn ihre Steuern und Beiträge für die Sozialkassen bringen der deutschen Staatskasse jedes Jahr mehrere Milliarden Euro zusätzlich ein! Und diese „Ausländer“ zahlen jährlich deutlich mehr in den Steuertopf und die Sozialkassen ein, als sie an Sozialleistungen beziehen! –
Um sich als sogenannte Drittstaatsangehörige bei den Kommunal-wahlen (Kreistags-, Bürgermeister- und Landratswahl) beteiligen zu dürfen, muss das deutsche Grundgesetz geändert werden. Denn mit dem Artikel 28 Absatz 1 ist dieses Wahlrecht nur den Deutschen und EU – Bürgern gegeben. Für eine Änderung im Grundgesetz benötigt man eine zwei Drittel Mehrheit im Deutschen Bundestag. Und diese Mehrheit ist leider zurzeit weder unter allen Parteimitgliedern noch unter den Bundestagsabgeordneten zu finden, vor allem nicht in der CDU/CSU. Und ohne Einsatz von CDU/CSU für eine solche Änderung im Grundgesetz wird es keine Mehrheit im Bundestag geben.
Überhaupt stehen nur ganz wenige Bundestagsabgeordnete in Berlin für eine Änderung des Grundgesetzes; zumindest für ein Kommunalwahl-recht für Ausländer.
Während in Deutschland im 21.Jahhundert immer noch den Drittstaatsangehörigen das Recht auf Beteiligung an Kommunalwahlen verweigert wird, gibt es – Gott sei Dank – im europäischen Raum eine Reihe von Ländern (über die Hälfte der Mitgliedsstaaten), die dieses Recht den Drittstaatsangehörigen nicht verweigern. Dazu gehören beispielsweise die Niederlande, Dänemark, Belgien, Spanien, Schweden, Portugal, … um nur einige zu benennen.
Besonders nationalistische und rassistische Parteien, Gruppierungen und Personen versuchten und versuchen immer wieder Menschenrechte an der jeweiligen Herkunft, Nationalität, Ethnie festzumachen und dabei ein künstliches Gemeinschaftsgefühl zu schaffen, das auf die Ausgrenzung anderer beruht. Wirkliche Demokratie gibt es aber nur da, wo die Machtzentralisierung eines Nationalstaates gebrochen ist (Hannah Arendt). Demokratie ist eine aktive Teilhabe und Mitbestimmung an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen. Davon sind leider viele Menschen mit Migrationshintergrund seit Jahren ausgegrenzt. Plurale Demokratie in Deutschland kann nur dann einhundertprozentig funktionieren, wenn wir alle (unabhängig von Nationalität, Religion, Aufenthaltsstatus, etc.) gleichberechtigt an einem Tisch zusammen sitzen, reden und entscheiden. Demokratie bedeutet unter anderem auch eine respektvolle Diskussion miteinander und ein ständiges gemeinsames Handeln … Auch dies ist im Landkreis Diepholz nicht unbedingt der Fall. –
Von den ca. 10 Mio. Menschen mit sogenanntem Migrations- und Fluchthintergrund, die in der gesamten Bundesrepublik Deutschland nicht wählen dürfen, leben mehrere hunderttausend auch in unserem Bundesland Niedersachsen, die sich an der kommenden niedersächsischen Kommunalwahl am 12. September diesen Jahres nicht beteiligen dürfen.
In unserem Landkreis Diepholz gibt es inzwischen mindestens einen Anteil von 5 % der Bevölkerung, also Deutsche mit sogenanntem Migrations- und Fluchthintergrund und EU – Bürger, der sich wenigstens an den Kommunalwahlen beteiligen darf.
Und auch hier in unserem Landkreis Diepholz gibt es gleichzeitig mehrere tausend Migranten und Flüchtlinge im entsprechenden Wahlalter und mit einem Daueraufenthaltsrecht, die sich aber nicht bei der Kommunalwahl am 12.09.2021 beteiligen und damit auch nicht mitentscheiden dürfen, wer ihre Zukunft mit welcher politischen Linie für die nächsten Jahre in ihrer Kommune vertreten soll.
Diese defizitäre Nichtbeteiligung an den Kommunalwahlen am 12.09.2021 muss für diese Menschen ein Ende haben und gleichzeitig ihr Teilhaberecht an den Wahlen gefördert werden. Dabei darf insbesondere nicht außer Acht gelassen werden, dass gerade die Kommunen diejenigen Orte sind, in denen die Integration von Migranten und Flüchtlingen stattfindet. In den Kommunen wird letztendlich entschieden, ob es zu einem friedlichen und gleichberechtigten Miteinander im Zusammenleben kommt oder zu Ausgrenzung und Rassismus.
Politische Teilhabe und Repräsentanz von Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund sind eine zentrale Voraussetzung für den Zusammenhalt in der Gesellschaft, besonders in Zeiten wie jetzt, wo dieser Zusammenhalt durch Nazis und zunehmenden Rassismus von Tag zu Tag immer mehr gefährdet ist. Um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu verwirklichen bzw. zu stärken, brauchen auch Migranten und Flüchtlinge die Möglichkeit zur demokratischen Mitgestaltung und zur politischen Teilhabe. Damit ist mindestens das Kommunalwahlrecht gemeint; nicht gemeint ist das Recht, von Gemeinden und Städten gelenkte Integrationsräte oder -beiräte zu gründen, die zum einen kein unabhängiges Gremium bilden und zum anderen sowieso nur eine „beraterische“ Funktion haben. Keiner weiß, wann sie sich treffen, was sie besprechen, worum sie sich kümmern, was mit ihrem zur Verfügung stehenden Budget geschieht … Außerdem sitzen bei allen Integrationsräten oder -beiräten im Landkreis Diepholz meist Hauptamtliche aus dem Integrations- und Flüchtlingsbereich oder Vertretungen der deutschen politischen Parteien, bei denen es nicht unbedingt um eine gesellschaftspolitisch geprägte parteiliche Öffentlichkeitsarbeit für Migranten und Flüchtlinge geht, sondern um eben “beraterische“ Tätigkeiten zur Umsetzung von Interessen der Rathäuser und Gemeinden oder zur Umsetzung von Projektförderungen der eigenen Träger. Es gibt im Landkreis Diepholz leider nur wenige Integrationsräte oder -beiräte, bei denen Migranten und Flüchtlinge faktisch mitgestalten und -lenken. Eine Ausnahme bildet beispielsweise die Samtgemeinde Barnstorf, wo Migranten gleichberechtigt im Integrationsbeirat vertreten sind und ihren Anliegen Gehör schaffen können.
Viele Migranten fühlen sich und ihre Interessen durch politische Parteien und Gremien in den Rathäusern bzw. bei kommunalen Vertretungen nicht “ausreichend” repräsentiert. Denn stellt man sich einmal die Frage, wie viele Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund im Landkreis Diepholz tatsächlich in den Parteien, kommunalen Verwaltungen oder Rathäusern, im Stadtrat oder Kreistag … vertreten sind, so kommt man auf ein ernüchterndes Ergebnis: und zwar fast null Prozent (!) und das bei einem Anteil von ca. 10 % an Migranten in der Bevölkerung.
Ist das nicht genug Grund, um die demokratischen Parteien und ihre Vertreter dazu aufzufordern: wann werdet denn auch ihr endlich für die politischen Rechte der Migranten eintreten; vielleicht im 22. Jahrhundert? Und wie sieht es aus mit der viel erwähnten Willkommens- und Anerkennungskultur in euren Gemeinden, Städten und im Landkreis Diepholz; habt ihr dies vergessen oder wollt ihr dies vielleicht gar nicht erst etablieren? –
Da wir Menschen mit sogenanntem Migrations- und Fluchthintergrund deutschlandweit über 20 % der Bevölkerung ausmachen und in unserem Landkreis Diepholz fast 10 % der Bevölkerung, muss auch für uns eine Mitwirkung und Partizipation an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen auf Bundes-, Landes- und auch auf Landkreisebene verwirklicht werden; das heißt: mindestens ein kommunales Wahlrecht für alle Migranten und Flüchtlinge bei einer Aufenthaltsdauer vor Ort ab 3 Jahren! Dann könnte für viele (politisch geprägte Interessierte) eine demokratische Mitwirkung und Gestaltung des Zusammenlebens in den Gremien der Kommunen beginnen, wenn dies natürlich vor Ort gefördert wird.
Alleine das Kommunale Wahlrecht zu gewähren reicht allerdings nicht aus; es bedarf ebenso an Förderung und Unterstützung der politischen Teilhabe vor Ort sowie Kurse/Angebote zur politischen Bildung. Wenn uns dieses Wahlrecht auf kommunaler Ebene gewährt wird, dann können wir alle davon ausgehen, dass es einen verstärkten Integrationsprozess unter den Migranten und Flüchtlingen geben wird, gleichfalls auch eine verstärkte Identifizierung der Migranten und Flüchtlinge mit Deutschland, Niedersachsen und der eigenen Kommune vor Ort. Denn viele werden denken und sagen: „Wir sind keine Ausländer, sondern wir sind Inländer“. Und mit Sicherheit wird es auch dazu beitragen, dass das Ungleichheitsgefühl zwischen EU – Bürgern und Drittstaatsangehörigen abnehmen wird.

GEH‘ WÄHLEN UND GIB DEINE STIMME den demokratisch geprägten Parteien wie Bündnis 90 /Die Grünen, SPD, Die Linke, CDU und FDP …
Am 12.09.2021 September finden wieder in unserem Bundesland Niedersachsen Kommunalwahlen statt. An diesem Tag werden dann neben den Kreistagen, Gemeinde- und Stadträten, auch die Bürgermeister in einigen Kommunen direkt gewählt. In allen Kommunen, in denen im ersten Wahlgang am 12.09.2021, z.B. bei der Bürgermeisterwahl, kein Bewerber mehr als 50 Prozent erhalten hat, wird es dann am 26. September 2021 (parallel zur Bundestagswahl) – sogenannte „Stichwahlen“ zwischen den beiden Bestplatzierten geben, bei denen schließlich die Person mit den meisten Stimmen gewinnt. –

Was sollten wir als eingewanderte Menschen mit oder ohne Wahlberechtigung unter dem Kommunalsystem in Niedersachsen verstehen:
Dörfer, Gemeinden und Städte werden in Niedersachsen als Kommunen bezeichnet. Jede Kommune (Dorf – Gemeinde – Stadt) hat in Niedersachsen einen Dorfrat, einen Gemeinderat oder einen Stadtrat. Dafür wird dann gewählt.
Zu den Aufgabenbereichen der Kommunen gehören beispielsweise: Erhebung von Steuern (Gewerbesteuer, Vergnügungssteuer, Hundesteuer u.a.), Verwaltungsgebühren, Benutzungsgebühren, Auszahlung von Leistungen beispielsweise für Sozialhilfe und Wohngeld, alles rund um Kindertagesstätten, die Trägerschaft von Schulen (staatlich oder privat), die Schulpolitik, Arbeitsmarktangelegenheiten (z.B. bei Arbeitslosengeld I und II), Beteiligung an der Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs, am Straßenbau und der Straßengestaltung sowie Verkehrsplanung, Unterhaltung von Sportanlagen, Krankenversorgung (Krankenhäuser, Altenpflegeheime), Bebauungspläne für Wohn-, Gewerbe- und Erholungsgebiete, Einkaufszentren, Verbrauchermärkte, Schwimmbäder und Freizeiteinrichtungen, Umweltthemen (Energie, Landschaftspolitik vor Ort), Gestaltung von öffentlichen Plätzen, Spielplätzen, von Wohngebieten (sozialer Wohnungsbau, soziale Stadt), Nutzung/Umnutzung von öffentlichen Gebäuden, …

Die Kommunen haben aber auch dem Land Niedersachsen und dem Bund (Berlin) gegenüber Aufgaben zu erfüllen, wie z.B. bezüglich der Gefahrenabwehr oder der Einwohnermeldeämter.
Das bedeutet für uns bzw. für alle Wähler, darüber zu entscheiden, wer die zukünftige Kultur-, Schul- und Sportpolitik gestaltet, wer die Abwasserbeseitigung, Schülerbeförderung, den Feuerschutz und den Schulbau, die Verkehrsanbindung und Straßengestaltung bestimmt, ebenso wie den Aufbau der Sicherheits- und Ordnungsverwaltung und wie die Kosten der Unterkunft nach SGB II zu regeln sind. Auch das Pass-, Melde- und Standesamtswesen sowie Angelegenheiten des Gesundheitsamtes entscheiden die gewählten politischen Amtsträger der Gemeinden oder Städte.

Durch unsere Teilnahme an den Kommunalwahlen und der Mitbestimmung über die Kandidaten der Parteien können wir, Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund, also darüber mitbestimmen, was beispielsweise für uns als Eltern und auch für unsere Kinder im Zusammenhang mit Kinderbetreuung, Kindergarten, Schule und Ausbildung wichtig ist bzw. unbedingt neu überdacht und geändert werden muss im Sinne einer transkulturellen (Willkommens-)Gesellschaft. Und wir können auch uns dabei einbringen, wie durch eine interkulturelle Öffnung der sogenannten Regeldienste (also der Ämter und Behörden) ein kundenfreundlicher Umgang umgesetzt werden kann. –

Vorweg: Bevor wir uns im Folgenden einen Überblick zum niedersächsischen Kommunalwahlsystem verschaffen, ist es von großer Bedeutung als erstes zu wissen, dass wir in Deutschland freie Wahlen haben! Das bedeutet, wen Sie wählen, ist nur allein Ihre Entscheidung. Sie können als wahlberechtigte Person immer selber entscheiden, für welchen Kandidaten oder für welche Partei Sie stimmen. Keiner darf Sie hierbei zu einer bestimmten Entscheidung zwingen. –

Überblick zum niedersächsischen Kommunalwahlsystem
Alle EU – Bürger und Deutsche mit Migrations- und Fluchthintergrund dürfen bei Kommunalwahlen mitwählen aber auch gewählt werden! Wenn Sie bei uns in Niedersachsen bzw. im Landkreis Diepholz wohnen und leben, müssen Sie folgende Voraussetzungen erfüllen, um wählen zu dürfen:

  • Sie müssen mindestens 16 Jahre alt sein.
  • Sie müssen Ihren Erstwohnsitz in Niedersachsen haben bzw. mindestens seit drei Monaten im Wahlgebiet (z.B. in der Gemeinde für die Wahl des Gemeinderats) Ihren Wohnsitz haben.
  • Sie müssen einen deutschen Pass oder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen.
  • Sie müssen in einem Wählerverzeichnis eingetragen sein oder einen Wahlschein haben.
  • Sie dürfen nicht aufgrund einer Gerichtsentscheidung vom Wahlrecht ausgeschlossen sein.
    Die Wählerverzeichnisse werden von den Gemeinden (Samtgemeinden) und Städten geführt. In das Wählerverzeichnis werden die Wahlberechtigten in der Regel automatisch eingetragen, wenn man dort mit Wohnsitz angemeldet (Dorf, Gemeinde und Stadt) ist. Diejenigen, die in einem Wählerverzeichnis eingetragen sind, bekommen automatisch eine Wahlbenachrichtigung. In dieser Wahlbenachrichtigung ist dann auch der Ort bzw. Adresse angegeben, wo Sie dann wählen oder die Briefwahl beantragen können. Wer also nicht in der Lage sein sollte bzw. verhindert ist, den Wahlort aufzusuchen, kann von der Möglichkeit der Briefwahl Gebrauch machen. Diese ist in den meisten Orten ab etwa dem 10. August möglich, weil dann wahrscheinlich die Wahlscheine mit den Kandidaten überall gedruckt sind!
    Nach dem Niedersächsischen kommunalen Wahlsystem können Menschen für die kommunalen Verwaltungen gewählt werden:
  • wenn sie am Wahltag mindestens 18 Jahre alt sind,
  • wenn sie am Wahltag seit mindestens sechs Monaten im Wahlgebiet (z.B. in der Gemeinde für die Wahl des Gemeinderats) ihren Wohnsitz haben und
  • wenn sie am Wahltag die deutsche Staatsangehörigkeit oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen,
  • wenn sie am Wahltag nicht aufgrund einer Gerichtsentscheidung von der Wahl ausgeschlossen sind.

Wie wird nach dem Niedersächsischen Kommunalwahlsystem gewählt:
Alle Bewerber werden auf einem Stimmzettel aufgeführt. Sie können Ihre Stimme durch Ankreuzen auf dem Stimmzettel abgeben.
Sie haben mehrere Stimmen:

  • drei Stimmen bei der Wahl des Kreistags,
  • drei Stimmen für die Wahl des Rates ihrer Gemeinde,
  • eine Stimme für die Wahl eines Hauptverwaltungsbeamten einer Gemeinde.
    Wählerinnen und Wähler können bei den Kreistags- und Gemeinderatswahlen auf jedem Stimmzettel drei Kreuze machen. Sie können alle drei Stimmen einem Wahlvorschlag in seiner Gesamtheit (Gesamtliste) oder einer einzigen Bewerberin beziehungsweise einem einzigen Bewerber auf einem Wahlvorschlag geben. Die Stimmen können aber auch auf mehrere Gesamtlisten und/oder mehrere Bewerberinnen und Bewerber desselben Wahlvorschlags oder verschiedener Wahlvorschläge verteilt werden.
    Die Wähler stimmen bei der Wahl entweder für einen (oder mehrere) Kandidaten oder für eine Partei.
    Man darf bei der Wahl nur einmal wählen! Wenn es aber zu einer Stichwahl bei einer Bürgermeisterwahl kommen sollte, darf man dazu ein zweites Mal seine Stimme abgeben.
    Um ihre Stimme abzugeben, haben Sie zwei Möglichkeiten:
  1. Entweder gehen Sie in das für Sie zuständige Wahllokal, nehmen dazu Ihre Wahlbenachrichtigung und einen gültigen Ausweis/Reisepass mit, erhalten dort einen gedruckten Stimmzettel und geben dort Ihre Stimme in der Wahlkabine ab. In der Kabine ist es verboten, Fotos oder Videos vom Stimmzettel zu machen.
    Für blinde Menschen gibt es bei der Wahl eine Schablone. Auf der Schablone stehen die Namen der Kandidaten in Blindenschrift. Mit der Schablone können blinde Menschen alleine wählen. Oder sie können sich von den Mitgliedern des Wahlvorstandes helfen lassen. Diese Helfer können entsprechend ihrer Entscheidung den Stimmzettel ausfüllen. Die Helfer haben eine Schweigepflicht und dürfen deshalb keine Informationen über eine Wahlentscheidung bei diesem Verfahren weitergeben.
  2. Sie möchten eine Briefwahl machen bzw. Ihre Stimme per Post abgeben. Dazu müssen Sie einen Wahlschein beantragen. Wo Sie das machen können, steht auf Ihrer Wahlberechtigungskarte. Sie können auch jemanden dazu beauftragen, den Wahlschein abzuholen; diese Person benötigt dann von Ihnen eine schriftliche Vollmacht.

Unsere Forderungen an eine zukünftige Kommunalpolitik
auf Augenhöhe!

Vorweg: Auch wenn wir (Eingebürgerte und wahlberechtigte EU – Bürger sowie nichtwahlberechtigte Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund) genau wissen, dass die Steuereinnahmen aufgrund der Corona – Pandemie stark zurückgegangen sind und deshalb mit größter Wahrscheinlichkeit ein starker Sparkurs sowohl im Land Niedersachsen als auch in den Kommunen in den nächsten Jahren unvermeidlich ist, lässt sich vielerorts auch ohne große finanzielle Investitionen der Gemeinden, Städte und der Kreisverwaltung die Integration von Migranten und Flüchtlinge verwirklichen, z.B. im Bereich Bildung und Arbeitsmarktintegration. Sofern hier alleine nur der politische Wille vorhanden ist (dieser ist dabei jedoch von entscheidender Bedeutung), kann etwas bewegt werden; manchmal sogar ohne finanzielle Investitionen!

Sowohl als eingebürgerte und wahlberechtigte EU – Bürger als auch als nichtwahlberechtigte Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund fordern wir vom zukünftigen Kreistag im Landkreis Diepholz, von den kommunalen Vertretungen der Rathäuser (Bürgermeister, Ratsherren und -frauen der antirassistisch geprägten demokratischen Parteien) und vom Landrat, gemeinsam, und zwar in Kooperation mit den vor Ort zuständigen Stellen in den Dörfern, Gemeinden und Städten und mit Migranten und der Migrantenselbstorganisation dafür sorgen, dass …

  1. das Jobcenter verstärkt Bemühungen unternimmt, um für Migranten und Flüchtlinge Hilfe in Form von Gesprächen „auf Augenhöhe“ anzubieten und ihnen damit den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Das viel zitierte „Fördern und Fordern“ soll auch die Interessen der Migranten und Flüchtlinge verstärkt berücksichtigen. Dafür bilden eigentlich die Eingliederungsvereinbarungen zwischen dem Jobcenter und seinen Kunden eine gute Basis. Dies setzt aber voraus, dass seitens des Jobcenters anerkannt werden muss, dass viele mit den Inhalten der sogenannten „Rechte und Pflichten“ der Eingliederungsvereinbarungen nicht klar kommen. Es ist eine falsche Politik, den Menschen einfach eine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben zu lassen oder in Hochdeutsch verfasste Gesetzestexte zum SGB II oder über Informationen zur Datenerhebung zur Verfügung zu stellen und zu erwarten, dass damit der Zugang zum Arbeitsmarkt funktioniert.
    Der überwiegende Teil der Bezieher von Leistungen nach dem SGB II ist nicht in der Lage, das „Jobcenter – System“ zu verstehen. So verstehen z.B. viele das Schreiben des Jobcenters nicht, in dem Sie darin aufgefordert werden, sich um einen Job zu kümmern bzw. sich bei einem bestimmten Arbeitgeber oder einer bestimmten Leihfirma (gemeint ist der Vermittlungsvorschlag seitens der Jobcenter) aufgrund eines Arbeitsplatzes zu melden. Ebenfalls große Probleme haben sie beim Ausfüllen der „Kompetenzanalyse“ und dem Verfassen eines Lebenslaufes, …
    Um solche und andere Probleme, wie beispielsweise die Beschaffung und das Ausfüllen von Unterlagen, zu lösen, braucht das Jobcenter eigentlich keinen einzigen Cent zu investieren (also keine Stellenbeschaffung oder irgendwelche Träger finanziell zu fördern); Denn hier würde es einfach ausreichen, wenn man sich mit den Vertretern der Migrantenselbstorganisation bzw. mit von der Migranten-Community anerkannten Personen auf Augenhöhe zusammensetzen und sich einmal anhören würde, was sie vorzuschlagen haben. Sowohl die Verantwortlichen des Jobcenters als auch die Migranten und Flüchtlinge selbst sollten hierbei nicht vergessen: durch die Beschäftigung der Migranten und Flüchtlinge werden sich im Landkreis Diepholz nicht nur die Steuereinnahmen erhöhen, sondern durch die Abnahme der Anzahl an Leistungsbeziehern werden auch rassistische Vorurteile in der Gesellschaft bekämpft. –
    Alle reden ja seit Jahren davon, dass die Integration „durch den Erwerb der deutschen Sprache sowie einer dem deutschen Arbeitsmarkt gerecht werdenden Qualifizierung“ funktioniert. Es ist daher schon eine Aufgabe der Kommunen und des Kreistages dafür Sorge zu tragen, dass Zugänge zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt auch für Migranten und Flüchtlinge geschaffen werden (und nicht, wie in der gängigen Praxis üblich, einfach in einen Sprachkurs zu vermitteln): dazu könnte man z. B. – ohne finanzielle Investitionen, dafür aber unter Einbeziehung der Migrantenselbstorganisation, der Agentur für Arbeit, des Jobcenters, der Industrie-und Handelskammer sowie der Handwerkskammer, der Sprachkursträger, verschiedener Arbeitgeber, etc. – eine jährlich stattfindende Berufs- und Jobmesse für Migranten und Flüchtlinge auf die Beine stellen; und zwar mit dem Ziel, eben diesen Migranten und Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, sich ein persönliches Bild über verschiedene Berufe, Ausbildungs- und Praktikumsstellen sowie Qualifizierungsangebote machen zu können und darüber hinaus direkt mit potentiellen Arbeitgebern sowie Trägern von Qualifizierungslehrgängen ins Gespräch zu kommen.
  2. Nicht nur bundesweit, sondern auch im Land Niedersachsen und im Landkreis Diepholz wird die Nachfrage an qualifizierten Fachkräften, besonders im Industrie- und Gesundheitssektor, stark zunehmen und ebenso die Stellen in niedrigqualifizierten Bereichen stark abnehmen. Deswegen muss man Flüchtlinge qualifizieren bzw. umschulen (Qualifizierungsmaßnahmen), unabhängig davon, aus welchem Land sie kommen, denn die Beschäftigungsfelder für unqualifizierte Flüchtlinge sowie die „Anlerntätigkeiten“ werden immer geringer.
    Nicht nur die Mitarbeiter der Jobcenter wollen, dass Flüchtlinge qualifiziert werden; auch die Flüchtlinge selbst „klopfen“ seit Jahren an staatliche und nichtstaatliche Türen und sagen, dass sie qualifiziert werden und schnell eine Arbeit haben möchten, um weg von staatlichen Leistungen zu kommen.
    Daher ist es seitens der Kommunen und des Kreistages erforderlich, große Anstrengungen zu unternehmen, um dieses Ziel „ohne staatliche Leistungen zu leben“ von allen Seiten verwirklichen zu können; und ebenso, den individuellen Bedarfen der Migranten und Flüchtlinge entsprechend, diese zu qualifizieren und zu fördern. Das vorrangige Ziel sollte hierbei sein, Qualifizierungsangebote zur Arbeitsmarktintegration für Migranten und Flüchtlinge zu schaffen anstatt immer wieder in unqualifizierte Tätigkeiten zu vermitteln.
  3. Der überwiegende Teil der Flüchtlingsfrauen (aber auch Migrantinnen aus bestimmten EU – Ländern wie z.B. Bulgarien), der in den letzten Jahren bei uns im Landkreis Diepholz angekommen ist, hat ein geringes Bildungsniveau. Um ihre Integration verstärkt zu fördern, muss es unbedingt spezielle sprachliche, gesellschaftliche, berufliche, … Angebote sowie muttersprachlich begleitete Orientierungskurse geben. Einer besonderen Förderung der Integration bedürfen ebenso Mädchen und Senioren, … –
  4. Schluss mit der ungleichen rechtlichen, sozialen, kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Behandlung der EU – Staatsangehörigen; besonders von Menschen aus Bulgarien und Rumänien auf behördlicher Ebene. Schluss mit der Entrechtungspolitik der EU – Bürger aus den genannten Ländern bei der Entscheidung über SGB – Leistungen im Landkreis Diepholz. Hier stellt sich insbesondere die Frage, wer für den aufenthaltsrechtlichen Status der EU – Bürger zuständig ist: die Ausländerbehörde oder das Jobcenter? Nach unserer Meinung natürlich die Ausländerbehörde! Es kann nicht angehen, dass in manchen Schreiben des Jobcenters steht, dass sie “ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche haben”, besonders dann nicht, wenn der Betroffene schon seit einigen Jahren in Deutschland lebt. Die Jobcenter haben lediglich zu überprüfen, ob den Kunden die sozialen Leistungen zustehen, nicht aber das Aufenthaltsrecht zu prüfen. Sofern ein EU – Bürger sich aufenthaltsrechtlich nicht mehr in Deutschland aufzuhalten hat, wird dies von der Ausländerbehörde entschieden.
  5. Endlich gibt es seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2005 einen Anspruch darauf, einen Integrationskurs vor Ort zu besuchen – gefördert vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dazu verpflichtet werden können – ob seitens der Jobcenter oder Ausländerbehörden – Personen mit einem sogenannten „Daueraufenthaltsrecht“ oder Flüchtlinge mit einer „guten Bleibeperspektive“ oder auch EU – Bürger, sofern freie Plätze bei den Integrationskursträgern vorhanden sind. Deswegen soll es strukturierte Hilfen geben, um für alle genannten Personenkreise gleichermaßen einen sofortigen Zugang zu einem Integrationskurs zu ermöglichen.
    Es muss eine verstärkte Öffnung der Integrationskurse für alle EU – Bürger im Landkreis Diepholz geben; anstatt beispielsweise viele Bulgaren, die aufgrund der Corona Pandemie arbeitslos geworden sind, sich selbst zu überlassen, könnten sich die Fallmanager des Jobcenters vermehrt dahingehend um diese Menschen kümmern, indem sie sie in einem passenden Integrationskurs bei einem passenden Sprachkursträger unterbringen, dem es nicht um eine „Profitmacherei“ aufgrund der Sprachlosigkeit dieser Menschen geht.
    Überhaupt ist eine strukturelle Veränderung der Integrationskurse im Landkreis Diepholz längst überfällig; nicht nur hinsichtlich des Rechts auf Anspruch an einem Integrationskurs, sondern auch dahingehend, aus welchen Teilnehmern ein Integrationskurs zusammengesetzt wird. In diesem Zusammenhang sollte die Migrantenselbstorganisation unbedingt als Gesprächspartner angehört werden. Denn sie kennt besonders die Vielfalt der Migranten und Flüchtlinge z.B. hinsichtlich ihrer beruflichen Kenntnisse und Qualifizierungen, ihrer sozialen Situation, des politischen Systems und des Gesellschaftsaufbaus in ihren Herkunftsländern, der Konfliktfelder untereinander, ihrer Glaubenspraktiken, …
    Es ist u.a. auch deswegen wichtig, die Einbeziehung der Hauptamtlichen und der Migrantenselbstorganisation in das Integrationskurssystem anzustreben, weil immer wieder in unserer praktischen Arbeit u. a. folgende Situation auftaucht: Integrationskursträger stellen für interessierte Kursbewerber einen Zulassungsantrag an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wird dieser bewilligt, hat in diesem Fall der Betreffende „Glück“ und kann an einem Kurs teilnehmen. Wird jedoch der Antrag vom BAMF abgelehnt, erfolgt durch den Träger des Integrationskurses keine Beratung dahingehend, dass gegen den ablehnenden Bescheid ein Widerspruch eingelegt werden kann, geschweige denn ein Angebot, ein Widerspruchsschreiben zu formulieren oder wenigstens an die vorhandenen Integrations- und Migrationsberatungsstellen zu verweisen.
    Auch diese einfachen Arbeiten lassen sich ohne irgendwelche Investitionen oder Schaffung zusätzlicher Stellen leicht verwirklichen, in dem man interessierte Kursbewerber entweder an die entsprechenden Beratungsstellen weiterleitet oder die Migrantenselbstorganisation anspricht.
    Ebenfalls müsste man damit aufhören, z.B. Kranke oder Personen, die in einem Dublin-Verfahren sind, anzuschreiben bzw. zu versuchen, sie in einem Integrationskurs unterzubringen, weil man ja dringend auf eine bestimmte Teilnehmerzahl angewiesen ist, um den Kurs zu beginnen. In diesem Zusammenhang raten wir dringend, sowohl die Integrationskursverordnung als auch das Aufenthaltsgesetz einmal gründlich durchzulesen; dort steht sehr detailliert beschrieben, wer unter welchen Voraussetzungen an einem Integrationskurs teilnehmen darf.
    So ist es ebenfalls nicht verwunderlich, wenn man im Alltag, egal ob bei Behörden oder beim Einkaufen, Migranten und Flüchtlingen begegnet, die trotz ihres mindestens 1.000 stündigen Integrationskursbesuches nicht einmal in der Lage sind, ein einfaches Gespräch zu führen. Deswegen müssen die Kommunen dafür Sorge tragen, dass vernünftige Integrationskurse vor Ort bzw. in Absprache mit der Migrantenselbstorganisation, geschaffen werden, deren strukturelle Gestaltung sich an den Bedürfnissen der Kursteilnehmer orientieren sollte und nicht nach der Devise: Hauptsache, ich bekomme einen Integrationskurs voll und erhalte dann Fördergelder.
    Es gibt zur Zeit nur einen einzigen Integrationskursträger im Landkreis Diepholz, der seit Jahren Integrationskurse anbietet, die dem Bildungsniveau, dem ausländerrechtlichen Status sowie auch dem Alter entsprechen und wo die Kursteilnehmer mindestens einmal pro Woche etwas über die strukturelle ausländer-, sozialrechtliche und die Situation auf dem Arbeitsmarkt erfahren.
  6. Kommunen haben auch im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsaufgaben schon dazu beizutragen, wie frühkindliche Bildung und Schulbildung sinnvoll ausgestaltet werden. Dies kann von ihnen strukturierter gefördert werden, indem man eine transkulturelle Öffnung dieser Bereiche für Eltern mit Migrations- und Fluchthintergrund anstrebt. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass wir leider in den Gemeinden bereits schon “viele” Flüchtlinge ohne abgeschlossene Schulbildung haben und diese nicht in der Lage sind, sich mit dem Schulsystem hierzulande zurechtzufinden. Auch dazu benötigt man keinerlei finanzielle Investitionen seitens der Gemeinden, denn auch in diesem Bereich gibt es anerkannte Personen aus den Migranten- und Flüchtlingscommunities, die sich gerne einbringen möchten. Voraussetzung dafür ist einzig der Wille, Kindergärten und Schulen für Eltern mit Migrations- und Fluchthintergrund zu öffnen. Dies würde zum einen die Chancen für Migranteneltern auf dem Bildungsmarkt erhöhen und zum anderen Hürden im rechtlichen und sozialen Leben abbauen sowie Rassismus in Schule offen bekämpfen.
  7. Die Verwaltung des Landkreises hat dafür Sorge zu tragen, dass an zentralen Orten im Landkreis (in den Gemeinden und Rathäusern) Runde Tische entstehen, an denen unter der Beteiligung und Mitwirkung von Verwaltungsfachkräften sowie von Migranten und Flüchtlingen konstruktive Wege für eine erfolgreiche Integration im Alltagsleben erarbeitet und umgesetzt werden. Wir brauchen keine Runden Tische, bei denen Integrationsräte und -beiräte als „Spielball“ der Kommunen ihre am Eigeninteresse orientierte Integrationspolitik präsentieren, sondern die Besetzung eines solchen Gremiums mit einer Migrantenselbstorganisation, die selber entscheidet, wie Integrationspolitik vor Ort inhaltlich ausgestaltet und praktisch umgesetzt wird. So z. B. könnten darüber muttersprachlich verfasste Informationen oder muttersprachlich begleitete Orientierungskurse schnell und unbürokratisch organisiert werden.
  8. Auch wenn Flüchtlinge und Migranten Dank der Förderungen Integrationskurse besuchen und dadurch die deutsche Sprache (zumindest auf dem Papier) lernen, braucht es dringend sowohl seitens der Kommunen als auch seitens des Kreistages Anstrengungen, um Begegnungen vor Ort zu initiieren. Alleine die deutsche Sprache zu beherrschen reicht eben nicht aus, um in der Gesellschaft anzukommen und sich angenommen zu fühlen. Ohne zwischenmenschliche Kontakte unter Einheimischen, Migranten und Flüchtlingen wird es nicht möglich sein, das Gelernte in der Alltagssprache zu benutzen; und auch nicht, um Segregation und der damit oftmals einhergehenden Entwicklung von Parallelgesellschaften vor Ort zu verhindern.
  9. Auf allen Ebenen des staatlichen und kommunalen Handelns muss damit aufgehört werden, Migranten und Flüchtlinge in gute – schlechte – integrierbare – bleibeberechtigte, etc. zu unterteilen. Und gleichfalls muss man sich auch in der Öffentlichkeit gegen die Unterteilung von Menschen in integrationswillige und -unwillige, in politische und Wirtschaftsflüchtlinge, in Menschen mit guter Bleibeperspektive und ohne derselben, … einsetzen.
  10. Kommunen (u.a. auch die Kreisverwaltung) sind im Rahmen der Selbstverwaltungsaufgaben auch Träger von Grund-, Haupt-, Berufs-, und Volkshochschulen oder übernehmen Aufgaben der Jugendhilfe. Daher sind sie – auch gegenüber ihren Bewohnern mit Migrations- und Fluchthintergrund – verpflichtet, Sorge zu tragen, dass Migranten- und Flüchtlingseltern nicht nur z.B. Bußgeldbescheide erhalten, sondern auch dafür zu sorgen, dass diese Menschen das Bildungssystem mit allen Rechten und Pflichten vor Ort kennenlernen müssen. Dazu gehört auch, dass Eltern in Deutschland dann eben nicht zu einem Bußgeld verurteilt werden dürfen, wenn ihr Kind wegen Krankheit nicht in der Schule erscheinen konnte.
    Es reicht auch nicht aus, mehrseitige in der Amtssprache verfasste Anmeldeformulare für den Kindergarten oder die Schule einfach mal schnell an die Eltern zu schicken oder ihnen in die Hand zu drücken! Und es reicht ebenfalls nicht aus, alleine diese Eltern auf die gesetzliche Schulpflicht ihrer Kinder hinzuweisen.
    Um Informationsdefizite hinsichtlich der Bildungsprozesse und des Bildungssystems entgegenzuwirken braucht es vor allem praktische Unterstützung und weiterführende Informationen, wie z. B., dass es an vielen Schulen Schulfördervereine oder Elternsprecher gibt, die die Interessen der Eltern vertreten oder dass eine Ausleihe von Lernhilfen gibt oder …
    Ebenso haben die Kommunen nicht nur die Pflicht darauf aufmerksam zu machen, dass das Schlagen als Erziehungsmethode in Deutschland verboten ist; denn auch das Wohl des Kindes durch die Schulen ist zu berücksichtigen, wenn z.B. Schüler aufgrund ihrer Religions- oder Volkszugehörigkeit durch manch eine Lehrkraft ausgegrenzt werden. Wichtig ist, zu vermitteln, dass die dominante Sprache Deutsch anerkannt werden muss, aber auch, dass man als Schule nichts dagegen hat, wenn Schüler auf dem Schulhof ihre Muttersprache sprechen.
    Fakt ist: ohne die Eingliederung der Eltern mit Migrations- und Fluchthintergrund ins schulische Leben zu fördern ist eine erfolgreiche schulische Laufbahn von Kindern und Jugendlichen mit Migrations- und Fluchthintergrund aussichtslos.
  11. Besonders im Bereich der frühkindlichen Förderung sind die Kommunen aufgefordert, für Migranten- und Flüchtlingskinder tätig zu sein. Nicht nur aus dem Grund, dass in Deutschland seit 2013 alle Kinder (unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus oder ihrer Volks- und Religionszugehörigkeit) mit Vollendung des ersten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz haben, sondern auch deswegen, weil mit dem Beginn des Kindergartenbesuches sowohl für das Kind als auch für die Eltern die ersten Schritte zum gesellschaftlichen Zusammenleben zwischen Einheimischen und Migranten und Flüchtlingen unternommen werden. Auch dafür braucht es keinerlei finanzieller Investitionen; es bedarf lediglich seitens der Kindergarten – Leitungen in kommunaler Trägerschaft eines Aufrufes an die Eltern mit Migrations- und Fluchthintergrund in deren jeweiligen Muttersprache, dass ihre Einrichtung offen für Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund ist.
  12. Die Kommunen sollten versuchen, das Gesundheitsamt des Landkreises dringend dazu zu bewegen, hinsichtlich des Aspektes der Gesundheitsgefährdung Wohnungen von EU – Bürgern, Flüchtlingsunterkünfte oder aber Unterkünfte von saisonal beschäftigten Migranten zu überprüfen. Vor allem das Wohl des Kindes ist hierbei mitzuberücksichtigen. Auch bei den Sozialämtern der Kommunen sollte die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung, wenn dies von einem Arzt diagnostiziert ist, nicht hinterfragt werden mit der Begründung, dass es sich nicht um eine akute Situation nach dem Asylbewerberleistungsgesetz handelt. Besonders müssen Ermessenspielräume z.B. für diagnostizierte traumatisierte Flüchtlinge genutzt werden, um diesen (unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus) eine entsprechende Behandlung zu ermöglichen: nicht der Mitarbeiter des Sozialamtes entscheidet, wer behandelt wird oder nicht, sondern der Arzt. Auch Menschen beispielsweise aus Bulgarien, die noch nicht das volle Freizügigkeitsrecht haben, sollten über das Gesundheitsamt die Möglichkeit bekommen, kostenlos behandelt zu werden.
  13. Es sollte dafür gesorgt werden, dass Flüchtlinge – anstatt sie in Gemeinschaftsunterkünften oder Containersiedlungen zu zwängen – dezentral in den Kommunen unterkommen, weil es einfach humaner, kostengünstiger für die Gemeinden aber vor allem integrationsfördernd ist.
    All unsere Forderungen können gerne vom Kreistag und den Kommunen als Grundlage für einen Integrationsplan des Landkreises Diepholz aufgenommen werden und im Laufe der nächsten Jahren in Kooperation mit uns (Mosaik e.V., Community-Vertreter der Migranten und Flüchtlinge, …) zusammen ohne jegliche finanzielle Investition verwirklicht werden. WIR SIND DAZU BEREIT!!! Und Ihr?

Man erkennt eine gelungene Integration daran, wenn Migranten und Flüchtlinge vor Ort selbständig und selbstbewusst in der Kommune mitgestalten, eigene Ansprüche formulieren und gegebenenfalls Einsprüche erheben.
ÜBRIGENS ist auch nicht zu vergessen:
das, was immer wieder von uns sowohl in der offiziellen Politik als auch unter der Bevölkerung gefordert beziehungsweise erwartet wird, wird vom überwiegenden Teil unsererseits nie in Frage gestellt; nämlich: die Beachtung der Rechts- und Werteordnung des Grundgesetzes, die Einhaltung der Gesetze sowie die Anerkennung der freien, demokratischen, offenen und toleranten Staats- und Gesellschaftsordnung Deutschlands!

Ein letztes Wort noch zum Schluss:
Bei den diesjährigen Wahlen 2021 haben wir es nicht geschafft, Kandidaten aufzustellen; unabhängig davon, ob in den Reihen der demokratischen Parteien wie Bündnis 90/Die Grünen, SPD, … oder als Einzelbewerber, was aber nicht heißen soll, dass wir dies bei der nächsten Wahl nicht machen wollen. Wir leben in diesem Landkreis und es wird wieder eine Kommunalwahl, z.B. im Jahr 2026, stattfinden. Darauf wollen wir uns schon jetzt einstellen. Wir haben genug Zeit, um uns sowohl zu qualifizieren als auch vorzubereiten.

Wir laden daher unsere Menschen (Migranten und Flüchtlinge), die daran interessiert sind, sich kommunalpolitisch zu betätigen, dazu ein, sich mit uns nach den Wahlen am 15.10. 2021 um 15 Uhr im Haus der Hilfe, Bremer Weg 2 in 28857 Syke zu treffen und folgendes zu besprechen: welche Folgen bringt das Wahlergebnis mit sich und welche Auswirkungen hat es auf das Zusammenleben zwischen Einheimischen, Migranten und Flüchtlinge? Wie möchten wir uns zukünftig treffen und uns austauschen und wie bereiten wir uns auf die nächsten Wahlen vor?

Verfasser: Rahmi Tuncer – Vorsitzender von Mosaik e.V. im Landkreis Diepholz, Juni 2021

Herausgeber:

Mosaik – für transkulturelle Bildung und
Begegnung im Landkreis Diepholz e. V.
Kontakt: Rahmi Tuncer
Email: info@mosaik-transkulturell.de
Mobil: +49 15202955320

In Kooperation mit:
Anatolisches Bildungs- und Beratungszentrum
Bremen e. V.
Kontakt: Rahmi Tuncer
Email: info@anadolu-bremen.de
Mobil: +49 15202955320

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