BRÜCKE – für ein gleichberechtigtes und friedliches Zusammenleben –
(Hrsg.: Anatolisches Bildungs- und Beratungszentrum e.V., Bultstr. 1, 28309 Bremen, gemeinnützig anerkannt. Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband Bremen und im Paritätischen Bildungswerk Bremen. Mobil: 0152 – 02955320; rahmituncer@web.de; www.anadolu-bremen.de)
SONDERAUSGABE DEZEMBER 2018
ZWANGSVERHEIRATUNG
Heutzutage werden in vielen Ländern der Welt Mädchen im jungen Alter und Frauen leider gegen ihren Willen zwangsverheiratet bzw. gegen das Einverständnis eines oder beider Ehepartner verheiratet. Auch bei uns in Deutschland und in unserer Stadt Bremen geschieht dies, auch wenn manche “Intellektuelle“ dies nicht begreifen möchten. Zwangsheirat verstößt nicht nur weltweit gegen den Artikel 1 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, sondern auch gegen unser Grundgesetz (§§ 1, 3 und § 6); des Weiteren verstößt dieses Handeln gegen die in der UN – Kinderrechtskonvention festgeschriebenen Rechte und Freiheiten (Artikel 6,16,19). Kurz gesagt: mit der Zwangsverheiratung wird den betroffenen Mädchen und Frauen das Recht auf ein selbstbestimmtes, freies und unabhängiges Leben genommen und dies ist nicht akzeptabel, egal ob dies von Einheimischen, Migranten oder Flüchtlingen ausgeht.
Jeder und Jede, der bzw. die in Deutschland eine andere Person (egal ob verwandt oder nicht verwandt) dazu zwingt, gegen den eigenen Willen zu heiraten, macht sich in unserem Lande strafbar und kann im Gefängnis landen. Zwangsverheiratung ist ein Straftatbestand, der mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden kann (§ 237 StGB). Religiös durchgeführte Ehen in irgendeiner Moschee vor dem Imam und mit ein paar Zeugen werden rechtlich in unserem Land nicht anerkannt; Auch
die ausgestellten Bescheinigungen solcher Imame und/oder Moscheen finden keine rechtliche Anerkennung: Dies ist gut so und soll auch so bleiben.
Zwangsverheiratung ist kein kulturspezifisches Problem und kommt leider in vielen Ländern, Gesellschaften bzw. in vielen ethnischen Gruppen vor, die in unserem Land Deutschland leben: Albanien, Libanon, Türkei, Irak, Iran, Afghanistan, Pakistan, Sri Lanka, Italien …
Zwangsverheiratung ist auch kein religionsspezifisches Problem und kommt nicht nur unter muslimischen Familien (wie es gerne in der Öffentlichkeit behauptet wird), sondern auch unter Christen, Buddhisten, Jeziden etc. vor.
Weder nach dem Koran noch nach der Sunna gibt es Rechtfertigungen oder Begründungen für eine Zwangsheirat. Der Prophet Mohammed hat sogar ausdrücklich verboten, einen Mann oder eine Frau zur Ehe zu zwingen. Dazu wird z.B. folgendes aus den Lebzeiten des Propheten Mohammed überliefert:
“Einmal kam eine Frau zum Propheten und beklagte sich darüber, dass ihr Vater sie gegen ihren Willen mit ihrem Cousin verheiratet hatte. Der Prophet sagte ihr, dass sie die Ehe lösen könne, wenn sie dies wolle. Sie sagte daraufhin, dass sie mit der Wahl ihres Vaters einverstanden sei, aber sie wollte, dass die anderen Frauen sehen, dass sie nicht zur Ehe gezwungen werden kann.“
Ein weiteres Problem im Kontext Zwangsheirat bzw. in der Diskussion darüber ist, dass dieser Begriff häufig auch (fälschlicherweise) dann benutzt wird, wenn es um sogenannte arrangierte Ehen geht. Doch dies ist falsch, da es dazwischen beträchtliche Unterschiede gibt, vor allen Dingen in Bezug auf die Art und Weise des Zwanges und der daraus entstehenden Konsequenzen für die Betroffenen. Arrangierte Ehen (oder modern auch als „Vernunftehen“ bezeichnet) gab und gibt es auch heute noch weltweit; auch in Deutschland. Dies ist vor allem üblich in adeligen und sehr vermögenden Kreisen. Und wirft man einen Blick in eine x-beliebige Tageszeitung auf die Kontaktanzeigen oder auf die
Internetseiten von Partnervermittlungsdiensten, wird man ebenfalls fündig.
Doch welche Gründe spielen bei der Zwangsheirat junger Mädchen bzw. Frauen heute in Deutschland eine entscheidende Rolle?
Eltern, besonders diejenigen, die kaum Kontakt zu der deutschen Gesellschaft haben, befürchten (hauptsächlich bei ihren Töchtern), dass sie durch die Annahme eines modernen Lebensstils Gefahr laufen, vom „richtigen Weg“ abzukommen. Sinnbildlich für diesen modernen Lebensstil und leider auch sinnbildlich für das Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit sind – ihrer Wahrnehmung nach – junge, „aufreizend“ geschminkte und gekleidete junge Frauen, die nachts „durch die Gegend streifen“, Discos besuchen, die in der Öffentlichkeit Körperkontakt zu Männern haben (Hand geben, Händchen halten, küssen, streicheln, usw.). Solche nicht nur alleine die Ehre der Familie/Community verletzende Verhaltensweisen, die ursächlich in dem Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit zu suchen sind – so zumindest wird es in bestimmten islamischen Kreisen den Menschen vermittelt – müssen vor- bzw. rechtzeitig unterbunden werden, gegebenenfalls durch Zwangsheirat. Aber auch die unberechtigte Angst davor, dass Töchter Deutsche heiraten könnten, ist dabei sehr entscheidend.
Kurzum gesagt: junge Menschen – besonders Frauen – aus bestimmten Communities, die es wagen, ihr Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung in der Öffentlichkeit zu entfalten und zu leben, die ihre Individualität vor die vermeintliche „Gemeinschaft“ stellen und deren aufgezwungene undemokratische Normen ablehnen, werden immer mehr, sowohl innerhalb der eigenen Familie als auch innerhalb der Community, ausgegrenzt, aus der sie stammen. Gegen eine solche Logik und solche Verhaltens- und Denkweisen können erfolgreich nur Migranten und Flüchtlinge selbst mit einer in muttersprachlichen Aufklärungskampagne vorgehen; klassische Formen der meist von intellektuellen Kreisen unter sich organisierten Kampagnen in Deutschland helfen in dieser Hinsicht nichts. Mütter, Väter, Geschwister und Demokraten aus den Migranten- und Flüchtlingscommunities müssen geschult und mit Unterstützung der Schulen, Beiräte, Parteien, zivilgesellschaftlichen Initiativen usw. für muttersprachliche Aufklärungskampagnen in den Stadtteilen vor ausländischen und einheimischen Einkaufszentren (z.B. ausländische Läden – Market X – Imbisse, Aldi, Lidl etc.), in den überwiegend von Migranten und Flüchtlingen bewohnten Straßen eingesetzt werden. Denn auch im letzten Jahr gab es der veröffentlichen polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2017 zufolge wieder vermehrte Zwangsverheiratungen. Viele der Opfer waren im letzten Jahr demnach Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren und mindestens fünf Jugendliche waren sogar unter 14 Jahre. Viele der Opfer haben die deutsche Staatsangehörigkeit, einige stammen aus Syrien und Irak. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer der von Zwangsheirat Betroffenen wesentlich höher ist und bestimmt einige Aspekte nicht oder unzureichend erfasst sind.
Nun noch ein paar Sätze zum „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ aus dem Jahr 2017, weil dieses auch zum Teil mit der Zwangsverheiratung von Minderjährigen zu tun hat: Mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ wurde das Mindestheiratsalters in Deutschland auf 18 Jahre ohne Ausnahme festgelegt. Eheschließungen sind seit dem letzten Jahr demnach nur noch möglich, wenn beide Heiratswillige volljährig sind.
Auch die Ehen, die im Ausland nach ausländischem Recht mit Minderjährigen geschlossen werden, werden in Deutschland nicht mehr anerkannt bzw. werden diese aufgehoben. Für Fälle, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes entstanden sind, gibt es Übergangsvorschriften.
Jugendämter sind mit dem neuen Gesetz verpflichtet, minderjährig Verheiratete, Zwangsverheiratete oder von Zwangsheirat Bedrohte in Obhut zu nehmen.
Auch die Eheschließungen, bei denen einer der beiden Partner zwischen 16 und 18 Jahre alt war, sind nach einer gerichtlichen Prüfung aufzuheben.
Nach dem Gesetz gibt es keine Ausnahmen mehr für Kinderehen. Religiöse und/oder in den religiösen Einrichtungen unterschriebene Verträge mit Minderjährigen zur Verlobung oder Eheschließung sind grundsätzlich verboten. Wer trotz dieses Verbotes eine religiöse Trauung im Namen Gottes vollzieht und/oder sich lediglich an so einer Trauung beteiligt, kann mit einer Geldbuße von mehreren tausend Euro bestraft werden. Das betrifft Geistliche/Imame, Sorgeberechtigte sowie sonstige als Zeugen anwesende Personen einer solchen Trauung.
Für alle (auch minderjährige) Mädchen und Frauen, unabhängig davon, ob sie von der Zwangsverheiratung und/oder von Gewalt betroffen sind, gibt es in unserem Land und in unserer Stadt Beratungsstellen, wo Beratungen und Informationen anonym und kostenlos in Anspruch genommen werden können.
Hier führen wir nur einige davon:
In Notfallsituationen können Sie sich Tag und Nacht an das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen 08000 116 016 wenden
Auch die Polizei ist immer unter 110 zu erreichen
Unter 0421 – 341 120 Mädchen–Notruf Bremen
Bei sexueller Nötigung 0421 – 362 38 32 oder 0421 -362 38 10
Auch im Internet finden Sie Informationen und Unterstützung unter: www.suse-hilft.de
www.neue-wege-bremen.de
www.gewaltgegenfrauen.bremen.de
oder bei: Arbeitskreis Frauen, Anatolisches Bildungs- und Beratungs-zentrum e.V., Bremen