BRÜCKE – für ein gleichberechtigtes und friedliches Zusammenleben
(Hrsg.: Anatolisches Bildungs- und Beratungszentrum e.V., Bultstr. 1, 28309 Bremen, gemeinnützig anerkannt. Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband Bremen und im Paritätischen Bildungswerk Bremen. Mobil: 0152 – 02955320; rahmituncer@web.de; www.anadolu-bremen.de)
Warum brauchen wir Selbsthilfegruppen?
Wie wir aus der Geschichte der Nachkriegszeit der BRD wissen, war Deutschlands Wirtschaft zerstört. Um die Wirtschaft erneut aufzubauen bzw. die boomende Wirtschaft erhalten zu können, brauchte Deutschland dringend Arbeitskräfte, die man nicht in der einheimischen Bevölkerung finden konnte. Deswegen wurden verschiedene Anwerbeabkommen mit unterschiedlichen Ländern wie Italien, Spanien, Griechenland etc. zur Gastarbeiterbeschäftigung vereinbart, darunter auch mit der Türkei; auf diesem Wege sind schließlich hunderttausende Türkeistämmige nach Deutschland als Arbeitskraft gebracht worden. Als das Anwerbeabkommen mit der Türkei zur Gastarbeiterbeschäftigung in Deutschland im Jahr 1961 unterschrieben worden war, ist weder die damalige deutsche Regierung noch die türkische Regierung davon ausgegangen, dass diese Menschen aus der Türkei auf Dauer in Deutschland bleiben würden. Beide Seiten gingen davon aus, dass die „Türken“, wenn sie für die Wirtschaft nicht mehr gebraucht werden würden, wieder in die Türkei zurückgehen oder zurückgehen „sollten“; selbst die türkeistämmigen Gastarbeiter träumten davon, nach kurzer Zeit in die Heimat zurückzukehren. Aus dieser „kurzen“ Zeit sind inzwischen 59 Jahre geworden. Und nicht nur die erste Generation ist geblieben, sondern inzwischen lebt hier mittlerweile bereits die 4. Generation der Türkeistämmigen deutschlandweit. Es gibt keine einzige Stadt in Deutschland, in der keine Türkeistämmigen leben. Sie arbeiten hier, zahlen wie die Einheimischen ihre Steuern, genießen aber dafür nicht unbedingt alle staatsbürgerlichen Rechte. Auch im Bundesland Bremen und in unserer Stadt Bremen leben in allen Stadtteilen Türkeistämmige; nicht nur einige Tausend noch Lebende der 1. Generation, sondern auch die 2., 3. und 4. Generation lebt in Bremen. Während die 2., und noch mehr die 3. Generation unter den Türkeistämmigen, fast kein Problem haben, in ihrer Stadt Bremen sich sprachlich, beruflich, gesellschaftlich, kulturell, politisch etc. zurechtzufinden, hat die noch lebende 1. Generation, mittlerweile Rentner, große Probleme, sich in allen Bereichen des Lebens zurechtzufinden; so z.B. beim Zugang zum Gesundheitssystem: Pflegebereich, Schwerbehindertenrecht …
So, wie man sich zu Beginn der Anwerbungszeit nicht um ihre Integration kümmerte, kümmert sich auch heutzutage kaum irgendeine Institution speziell um ihre Probleme, z.B. deren Armut aufgrund ihrer geringen Rente und die damit zusammenhängenden Probleme (u. a. im gesundheitlichen Bereich).
Daher ist es von großer Bedeutung, wenn man beispielsweise nicht nur Informations- und Aufklärungsarbeit hinsichtlich des Gesundheitssystems für diese Menschen leistet, sondern auch die in unserer Stadt Bremen und in unseren Stadtteilen vorhandenen Selbsthilfestrukturen sowohl für Senioren mit Migrationshintergrund als auch für Angehörige von Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund öffnet; zusätzlich oder alternativ die Senioren und Ihre Angehörigen dabei unterstützt, sich selber für die Gründung von Selbsthilfegruppen zu engagieren.
Denn diese Menschen brauchen nicht nur dringend und einzig die Öffnung der vorhandenen Selbsthilfegruppen, sondern auch spezifische Formen der Selbsthilfe für sich.
Da es vielen dieser Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund aufgrund der Sprachbarrieren, der fehlenden kultursensiblen Öffnung der Regeldienste und der fehlenden muttersprachlichen, aufklärenden Informationen nicht gelingt, sich einen Zugang zu den vorhandenen Angebotsstrukturen der vielen Institutionen, Einrichtungen, Vereinen etc. im Lande Bremen zu schaffen, muss mit der Gründung und Förderung von mehrsprachigen Selbsthilfegruppen (besonders aber in der Muttersprache) diesen Menschen geholfen werden. Viele sind schon eigentlich (besonders nach dem Ausstieg aus dem Berufsleben) seit Jahren auf der Suche nach Gleichgesinnten, die ihre Situation verstehen, zu denen sie aber dennoch eine gewisse Distanz wahren.
Mit dieser zweisprachigen Handbroschüre möchten wir zum einen diesen Menschen in ihren Problemlagen Hilfestellung geben und zum anderen ihnen vorstellen, was eine Selbsthilfegruppe in diesem Zusammenhang ist und welche Perspektiven es bietet, wenn sich „Gleichgesinnte“ bzw. „Gleichbetroffene“ zusammenfinden.
Was ist eigentlich eine Selbsthilfegruppe?
Menschen, die an derselben Krankheit leiden oder ähnliche Probleme und Schwierigkeiten in ihrem Leben haben, kommen in sogenannten Selbsthilfegruppen zusammen, um sich gegenseitig Hilfe anzubieten und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und zu erhalten.
Sie kommen freiwillig und regelmäßig zusammen. Sie informieren sich über ihre Krankheiten, tauschen sich untereinander über ihre Probleme und Sorgen aus. Sie unterstützen sich, helfen sich gegenseitig bei der Überwindung ähnlicher Probleme.
Menschen, die an derselben Krankheit oder Behinderung leiden, egal ob körperlich oder psychisch, kommen in Selbsthilfegruppen zusammen. Diese Gruppen ermöglichen den Teilnehmern sich auszutauschen, Probleme zu erkennen und gemeinsam Lösungen zu finden.
Innerhalb der Gruppe ist es einfacher über seine Probleme zu sprechen bzw. bringt man in einer guten Atmosphäre seine Sorgen besser zum Ausdruck.
Da innerhalb der Gruppe das Prinzip der Vertraulichkeit gilt (Schweigepflicht), wird ein vertrauensvolles Umfeld geschaffen. Alles, was besprochen wird, bleibt in der Gruppe.
Jeder spricht innerhalb der Gruppe über sich selbst und niemand wird in der Gruppe dazu gezwungen, mehr zu erzählen, als er will.
Die Selbsthilfegruppe trifft sich in der Regel an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Uhrzeit. Der Tag und die Zeit für das Treffen wird von der Gruppe selbst bestimmt.
Aus wie vielen Personen die Gruppe bestehen soll, wird von allen Gruppenteilnehmern gemeinsam entschieden. Auch die Inhalte der Themen können sie immer selbst bestimmen.
Die Gruppe wird von keiner einzelnen Person geleitet. Da innerhalb der Gruppe Menschen mit gleichen Problemen freiwillig zusammen kommen, sind sie selbstbestimmt.
An Selbsthilfegruppen nehmen im Allgemeinen Personen teil, die ähnliche Probleme haben und erfahren möchten, wie die anderen mit den gleichen Problemen damit umgehen, wie sie ihre Probleme überwunden haben bzw. überwinden.
Die Menschen können durch ihre Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe ein Gefühl der Zugehörigkeit zu der Gruppe entwickeln, das ihnen ermöglicht, ihre soziale und emotionale Isolation zu beseitigen.
Anderen zu helfen erhöht auch das Selbstwertgefühl eines jeden Menschen.
Sie können ihrer Isolation und Einsamkeit ein Ende bereiten, ihre sozialen Fähigkeiten, u.a. mit Hilfe der Gruppe, verbessern.
Sie können nützliche Informationen, z. B. hinsichtlich ihrer Krankheit, untereinander austauschen und dadurch eigene Entscheidungen darüber treffen, wie sie selbst mit ihrer Krankheit oder ihrer persönlichen Lage umgehen.
Mit der Gründung der Selbsthilfegruppen möchten wir sowohl innerhalb unseres Vereins im Stadtteil Hemelingen als auch in anderen Stadtteilen unserer Stadt Bremen folgendes erreichen:
Wir möchten dazu beitragen, die Lebenssituation von Menschen mit und ohne Behinderung sowie von älteren Menschen und ihren Angehörigen mit Migrationshintergrund zu verbessern und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fördern.
Wir möchten die Selbsthilfe von Angehörigen mit türkischem Migrationshintergrund stärken und fördern.
Wir treten ein für eine gleichberechtigte Teilhabe am sozialen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben für Migranten und Flüchtlinge.
Wir möchten die Hilfe zur Selbsthilfe von Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund mit und ohne Behinderung fördern sowie körperlich, seelisch, psychisch eingeschränkte Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund unterstützen.
Wir möchten die Betroffenen mit Migrations- und Fluchthintergrund in ihrer jeweils persönlichen Situation stärken und unterstützen.
Wir treten ein für eine gute Verständigung und bereichernde Begegnungen der Kulturen miteinander.
Wir möchten eine Plattform für den Austausch von Erfahrungen und Informationen untereinander schaffen.
Wir möchten die Öffentlichkeit für die Belange der von Behinderung betroffenen Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund sensibilisieren.
Wir stellen mehrsprachige Informationsmaterialien zur Verfügung.
Wir leisten Hilfe zur Inanspruchnahme der Beratungsangebote in der Stadt Bremen für Migranten und Flüchtlinge mit Behinderung und chronischen Krankheiten sowie für ihre Angehörigen.
Wir fördern die Hilfe zur Selbsthilfe und bieten Unterstützung beim Aufbau einer Selbsthilfegruppe, wenn dies erwünscht wird.
Wir informieren über weitere „Selbsthilfegruppen“ in Bremen und bieten Hilfe bei der Kontaktaufnahme zu anderen Selbsthilfegruppen.
Wir unterstützen die Selbsthilfegruppen in der Öffentlichkeitsarbeit.
Wir möchten die Zusammenarbeit mit Vereinen und Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialbereich fördern.
Wir leisten Hilfestellung und bieten Unterstützung bei der Organisierung von Veranstaltungen, Festen, Ausflügen …
Die Grundlage für die Umsetzung all unserer genannten Ziele gibt uns der Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes: „ …Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden… “
Wir beabsichtigen, folgende (zum Teil schon bestehende) zweisprachige Selbsthilfegruppen ins Leben zu rufen:
Für ältere Menschen mit Behinderung, Pflegebedarf: Seniorengruppe, jeden Donnerstag von 13.30 bis 17.30 Uhr
Für Menschen mit Alkoholproblemen: Chorgruppe (türkische Volkslieder), jeweils dienstags (zweiwöchentlich), spätnachmittags
Für Angehörige von Menschen mit psychischer Erkrankung: Nähgruppe, u.a. mit dem Ziel der Verbreitung, Zugänglichmachung und Übersetzung von Informationen nach Bedarf, jeweils montags (zweiwöchentlich)
Für Menschen mit Stresssymptomen (Frauen): Frauenchor- und -tanzgruppe, jeden Freitagabend ab 18.00 Uhr
Anmeldung und Informationen:
Rahmi Tuncer, Mobil-Nr. 01520 – 29 55 320 oder
info@anadolu-bremen.de oder www.anadolu-bremen.de
Unser Projekt führen wir u. a. in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Selbsthilfe behinderter Menschen Bremen e. V. durch.
Gefördert von den gesetzlichen Krankenkassen des Landes Bremen nach § 20h SGB V im Rahmen ihrer Aufgaben zur Förderung der Selbsthilfe.