
Ausgabe Nr. 10
ABSCHAFFUNG DER BEZAHLKARTE UND DES ASYLBEWERBERLEISTUNGSGESETZES
An alle Solidaritätskreise mit und für Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge!
Liebe Kolleginnen aus dem Integrations- und Flüchtlingsbereich im Landkreis Diepholz, liebe Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge,
wie in vielen Bundesländern, Städten, Landkreisen und Kommunen der Fall ist, wurde auch bei uns im Landkreis Diepholz eine Bezahlkarte eingeführt, die wir ohne Wenn und Aber ablehnen; ebenso, wie wir seit Jahren schon die Streichung des gesamten Asylbewerberleistungsgesetzes fordern. Wir fordern dies wohlwissend, dass es, entsprechend der politischen Verhältnisse in Deutschland, in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich leider keine Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes geben wird. Und auch bei uns im Landkreis Diepholz könnte es vielleicht sogar für die nächsten 20 Jahre der Fall sein, dass diese – die Flüchtlinge ausgrenzende Bezahlkarte bzw. das Asylbewerberleistungsgesetz – nicht aufgegeben wird. Auch bei uns werden sich die politischen Verhältnisse im Kreistag nicht unbedingt zugunsten der Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge positiv entwickeln.
Mit dem folgenden Beitrag setzen wir uns gegen die Einführung der Bezahlkarte im Landkreis Diepholz ein und rufen alle dazu auf, trotz des nicht vorhandenen politischen Willens, sich ebenfalls für die Abschaffung der Bezahlkarte einzusetzen und sich mit den Flüchtlingen zu solidarisieren und dabei nicht zu vergessen, dass diese „Entrechtungs-entscheidung“ hinsichtlich der sozialen Rechte von Flüchtlingen nicht nur durch die damaligen Ampelparteien (SPD, Bündnis 90 / Die Grünen, FDP) sowie der CDU/CSU, sondern auch mit Unterstützung der rassistischen AfD und des BSW beschlossen wurde.
Das Ziel der Einführung einer Bezahlkarte für Flüchtlinge wurde und wird immer wieder von bestimmten konservativen bis hin zu rassistischen politischen Kreisen, Parteien, Gruppen, Einzelpersonen, aber leider auch von Millionen ausländischen und einheimischen „einfachen“ Menschen in Deutschland folgendermaßen begründet:
- „Wir wollen damit die irreguläre Migration – Flucht nach Deutschland verhindern bzw. keinen Anreiz für illegale Migration und Flucht nach Deutschland durch Geldleistungen an Flüchtlinge in den Herkunftsländern schaffen sowie den Missbrauch von sozialen Leistungen durch Asylbewerber senken“,
- „Mit den Geldleistungen, die bisher von den zuständigen Sozialämtern jeden Monat ausgezahlt wurden, sind die Flüchtlinge in der Lage, Geld zu sparen und dieses dann an Familienangehörige im Herkunftsland zu überweisen, die dann wiederum Schlepper bezahlen können um nach Deutschland zu gelangen. Durch die Einführung der Bezahlkarte würden solche Überweisungen an Angehörige verhindert und damit auch ein Ankommen weiterer Flüchtlinge in Deutschland.“
Dabei wissen „die da oben“ eigentlich ganz genau, dass Flüchtlinge z.B. nicht selten durch unsere Gesetzgebung gezwungen sind, Geld ins Ausland zu überweisen, weil sie zum Beispiel Reisepässe oder Geburtsurkunden aus dem Herkunftsland brauchen, um hier ihre Identität zu klären (z.B.: Syrer, Afghanen, Iraker…),
- Ebenfalls wird behauptet, dass „… die Einführung der Bezahlkarte den Verwaltungsaufwand der Sozialämter verringert.“
Dies ist jedoch nicht der Fall, zumindest so lange nicht, wie die Behörden keine funktionierende IT-Struktur, keine technische Unterstützung und entsprechende Schulungen haben. Übrigens… die Einführung der Bezahlkarte kostet der niedersächsischen Landesregierung mindestens eine Million Euro (www.mi.niedersachsen.de). Und wie viel die Einführung der Bezahlkarte dem Landkreis Diepholz kosten wird, wissen wir nicht!
Nach langjähriger, solidarischer, ehren- und hauptamtlicher Flüchtlings- und Integrationsarbeit, weit über den Landkreis Diepholz hinaus bis in den gesamten norddeutschen Raum, haben wir kaum einen Flüchtling kennengelernt, der in der Lage gewesen wäre, mit den im Vergleich zum Bürgergeld gekürzten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Familienangehörige nach Deutschland zu holen. Denn während ein erwachsener Bürgergeldempfänger ab Januar 2025 um die 563 € bares Geld für seine Lebensunterhaltssicherung erhält, bekommt ein Flüchtling, z.B. aus der Elfenbeinküste, 441,00 € bares Geld nach dem Asylbewerber-leistungsgesetz, um seinen Lebensunterhalt sichern zu können; und über dieses bare Geld dürfen diejenigen Flüchtlinge, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, jetzt nicht mehr verfügen.
Wenn man uns aber danach fragen würde, ob es denn überhaupt Flüchtlinge und Migranten gibt, die Geld in ihr Herkunftsland überweisen, dann würden wir sagen: „JAWOHL, die gibt es!“; uns sind genug Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte mit einem verfestigten Aufenthalts-
recht nach dem Aufenthaltsgesetz aus dem Landkreis Diepholz und aus dem Bundesland Bremen bekannt, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen und mit dem verdienten Geld nicht nur den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie hierzulande sichern, sondern die auch in der Lage sind, z.B. jeden Monat mit einer Überweisung von 100,00 € einem Studenten (meist Familienangehörige) das Studium im Herkunftsland zu ermöglichen, weil in vielen Herkunftsländern der Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge Bildung kostenpflichtig ist und viele Familien ihren Kindern das Studium aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel nicht ermöglichen können. Oder es gibt Flüchtlinge, die mit einem monatlichen Beitrag von 10,00 € Menschenrechtlern von Nichtregierungsorganisationen in ihren Herkunftsländern die Menschenrechtsarbeit ermöglichen. Übrigens: Die Bundesbank nennt solche Zahlungen „… Rücküberweisungen, die als ein wichtiges Mittel zur Armutsbekämpfung und Entwicklungsförderung in den Ländern zu verstehen sind.“
Wir könnten noch viele Beispiele geben, aber wir lassen das an dieser Stelle. Denn es geht eigentlich mit der Einführung der Bezahlkarte nur um die erwünschte Abschreckungs- und Ausgrenzungspolitik, Diskriminierung, eine nicht herzlich gemeinte Willkommens- und Entrechtungspolitik seitens der konservativ – rassistisch geprägten Politiker gegenüber Flüchtlingen.
Anstatt gegen rechte Ideologien sowie gegen Forderungen nach einem abgeschotteten Europa und Deutschland politisch zu reagieren, möchten viele der Politiker leider die rechte rassistisch – faschistisch geprägte Ideologie mit einer Demonstration der Handlungsfähigkeit „wir tun ja was gegen Flüchtlinge“ bekämpfen, indem sie eine solche Politik einführen. Dies ist ein falscher Weg. Denn genau diese Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik führt zur Bestätigung der rechten Ideologie hinsichtlich Migration – Flucht und Integration.
Was ist möglich mit der Bezahlkarte (offiziell als Visakarte oder SocialCard bezeichnet)? – Ein kleiner Überblick
„Jede/r volljährige Leistungsberechtigte erhält eine eigene Bezahlkarte mit dem ihr / ihm individuell zustehenden Leistungsbetrag. Ob eine Ausgabe der Bezahlkarte auch an minderjährige Leistungsberechtigte ab Vollendung des 14. Lebensjahres erfolgt, steht im Ermessen der jeweiligen Leistungsbehörde.
In Niedersachsen stehen grundsätzlich 50 Euro pro leistungsberechtigte Person als von der Bezahlkarte abhebbarer Bargeldbetrag zur Verfügung.
Der Betrag ist für Erwachsene und Kinder gleich.“
(www.mi.niedersachsen.de)
Auch bei uns im Landkreis Diepholz haben erwachsene Leistungsbezieher auf ihrer Bezahlkarte, einer VISA Debitkarte, ein Abhebe-Limit von 50,00 Euro Bargeld. Den Kindern unter 18 Jahren zustehende Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden auf die Bezahlkarte eines der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten, gutgeschrieben. Auch für ihre Leistungen gibt es ein Abhebe-Limit von 50 € Bargeld. Der restliche Betrag nach dem Asylbewerberleistungsgesetz kann nicht als Bargeld abgehoben werden. Alle Einkäufe über die 50 € Bargeld hinaus müssen mit dieser Karte gezahlt werden und sind nur in solchen Geschäften möglich, in denen diese VISA Debitkarte akzeptiert wird; die sogenannten „Visa-Akzeptanzpartner“.
Auch wenn in manchen Bundesländern, z.B. wie im benachbarten Bundesland Bremen, ein monatliches Abhebe-Limit von immerhin 120,00 € zur Verfügung steht, sollte dies nicht dazu führen, dass man dieses die Flüchtlinge ausgrenzende System akzeptiert.
Die Bezahlkarte darf nur für Zahlungen bis zur Höhe des gutgeschriebenen Betrages nach dem Asylbewerberleistungsgesetz genutzt werden. Eine Überziehung ist ausgeschlossen. „Kartennutzer können … bei verschiedenen Händlern in über 17.000 Geschäften deutschlandweit kostenlos Bargeld abheben. Hierzu zählen aktuell folgende Einzelhändler: ALDI, dm Drogerie, EDEKA, famila, Globus, Markant, Müller Drogerie, Netto – Markendiscount und Rossmann.“(www.mi.niedersachsen.de).
Viele der aufgeführten Händler sind jedoch nicht in den kleinen Gemeinden des ländlich geprägten Landkreises zu finden. Wenn man also in einer solchen kleinen Gemeinde etwas kaufen möchte, muss man erst einmal in den Bus steigen, dort eine Fahrkarte von dem Bargeldbetrag in Höhe von den insgesamt 50 € bezahlen, um als nächstes kostenlos Bargeld in einer Bankfiliale oder einem entsprechenden Supermarkt abzuheben. Oder man muss akzeptieren, dass „Entgelte für Geldabhebungen am Geldautomaten … für die Kartennutzer 0,65 Euro pro Abhebung unabhängig vom Abhebebetrag …“ kosten. (www.mi.niedersachsen.de)
Die Karte ist, wie erwartet, natürlich nur in Deutschland einsetzbar. Mit der Karte können die Flüchtlinge erst dann Überweisungen tätigen, wenn sie vorher ihrer für sie zuständigen Stelle – also dem Sozialamt – den entsprechenden Zahlungsempfänger mit Namen und IBAN mitgeteilt haben, das Sozialamt dem zustimmt und erst danach ist diese Betätigung möglich. Das zuwendende Sozialamt ist immer berechtigt die Karte zu sperren, wenn Flüchtlinge keine Ansprüche mehr auf Leistungen nach dem AsylbLG haben.
Die Bezahlkarten werden von den zuständigen Rathäusern bzw. Sozialämtern an die Flüchtlinge ausgegeben. Die Bezahlkarte wird auch als sogenannte „SocialCard“ bezeichnet.
Wer bekommt demnächst eine Bezahlkarte?
Die Bezahlkarte ist vorgesehen für Flüchtlinge, die eine Aufenthalts-gestattung oder eine Duldung haben; so wird es immer propagiert: „Für alle Geflüchteten in Niedersachsen sollen perspektivisch die gleichen Standards gelten. Die Bezahlkarte des Landes ist in Zukunft verbindlich vorgesehen für die Leistungsgewährung an Geflüchtete im Grundleistungsbezug gem. § 3 Asylbewerberleistungsgesetz.“
Aber schaut man sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür genauer an, kommt die Bezahlkarte sehr wohl auch für Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis in Frage, abhängig von dem entsprechenden Paragraphen im Aufenthaltsgesetz (gemeint ist der jeweilige Aufenthaltstitel, s. dazu AsylbLG § 1 Abs. 1).
So erhielt eine dreiköpfige Flüchtlingsfamilie Ende April 2025 folgendes Schreiben eines Sozialamtes aus dem Landkreis Diepholz: „Die Auszahlung Ihrer Leistungen erfolgt gem. § 3 Abs. 3 AsylbLG auf die Ihnen auszuhändigen-de Bezahlkarte. Aufgrund der Besonderheit Ihres Einzelfalles können Sie über einen Betrag von 150,00 € monatlich in bar verfügen. Den Betrag können Sie sich in Supermärkten kostenfrei auszahlen lassen. Kreditinstitute verlangen für die Auszahlung eine Gebühr, die Sie dann selbst zu tragen haben. “
Was steht denn im § 3 Abs. 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes?
„Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen (damit sind in den Städten, Gemeinden, private Wohnungen, Gemeinschafts-unterkünfte, Flüchtlingswohnheime etc. gemeint; Anmerkung R.T.) … wird vorbehaltlich … der notwendige Bedarf durch Geld- oder Sachleistungen oder in Form von Bezahlkarten, Wertgutscheinen oder anderen unbaren Abrechnungen gedeckt. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat sowie für Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie wird, soweit notwendig und angemessen, gesondert als Geld- oder Sachleistung oder mittels Bezahlkarte erbracht. … Der Bedarf für Unterkunft und Heizung kann … als Direktzahlungen … an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte erfolgen. Der notwendige persönliche Bedarf ist vorbehaltlich … in Form von Bezahlkarten oder durch Geldleistungen zu decken. Soweit der notwendige persönliche Bedarf oder der Bedarf für Haushaltsenergie nicht mittels der Bezahlkarte gedeckt werden können, sind diese als Geldleistung zu erbringen. In Gemeinschaftsunterkünften … kann der notwendige persönliche Bedarf soweit wie möglich auch durch Sachleistungen gedeckt werden.“
Alle Flüchtlinge, die den Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes unterworfen sind, werden die Bezahlkarte bekommen. Diese Flüchtlings-gruppen sind in dem Asylbewerberleistungsgesetz wie folgt aufgeführt:
§ 1 AsylbLG Leistungsberechtigte
Abs. 1: Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die
- eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzen, …
- eine Aufenthaltserlaubnis besitzen
- wegen des Krieges in ihrem Heimatland nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes, (heißt: durch die oberste Landesbehörde aus humanitären und politischen Gründen aufgenommene Flüchtlinge, z.B. aus Syrien, Afghanistan)
- nach § 25 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (heißt: Flüchtlinge mit einem humanitären vorübergehenden Aufenthalt) oder
- nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes (heißt: Flüchtlinge, deren Ausreise aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht möglich ist, z.B. Flüchtlinge aus Albanien, Nordmazedonien, Serbien etc.)
- eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen, (heißt: alle Flüchtlinge, deren Asylverfahren negativ abgeschlossen sind, aber z.B. aufgrund der fehlenden Reisepässe etc. nicht abgeschoben werden können bzw. dürfen; auch geduldete Flüchtlinge mit § 60b Duldung für Personen mit ungeklärter Identität – AufenthG)
- vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist,
- Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder der in den Nummern 1 bis 5 genannten Personen sind, ohne dass sie selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen,
- einen Folgeantrag nach § 71 des Asylgesetzes oder einen Zweitantrag nach § 71a des Asylgesetzes stellen oder
…
All dies bedeutet für uns, dass die Bezahlkarte nicht nur für Flüchtlinge mit einer Aufenthaltsgestattung oder Duldung ausgestellt werden, die 36 Monate lang Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, sondern u.a. für Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der aufgeführten Paragraphen. Und aus unserer praktischen Arbeit wissen wir, dass sogar Flüchtlinge, deren Duldung bereits länger als 36 Monate dauert, von manchen Sozialämtern eine solche Bezahlkarte ausgestellt bekommen könnte, wenn man ihnen eine sogenannte „rechtsmissbräuchliche Verlängerung der Duldungsgründe“ (z.B. Passlosigkeit, Nichtbefolgung der Mitwirkungspflichten nach dem Aufenthalts- und Asylgesetz) unterstellt. Gleiches gilt für den Personenkreis, dem schon jetzt gemäß § 1a AsylbLG nur noch eingeschränkte Leistungen zustehen (die sogenannte Anspruchseinschränkung). Hier kann es sogar so weit kommen, dass man als Flüchtling vom zuständigen Sozialamt nicht einmal einen einzigen Cent bekommt.
Demnach gehen wir im Landkreis Diepholz von mehreren hundert Personen aus, die eine Bezahlkarte ausgestellt bekommen werden.
Dies wird meist bei Flüchtlingen aus den Ländern der Fall sein, bei denen das Asylverfahren überwiegend negativ ausgehen wird bzw. fast keine Chance auf ein positives Asylverfahren haben. Und gerade diese Flüchtlinge brauchen dringend rechtsanwaltliche Vertretung in ihrem Asylverfahren, um gegen die negativen Bescheide vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehen zu können (nahöstliche Länder, afrikanische, Westbalkanländer, russische Föderation etc.). Für diese Menschen wird durch die Ausstellung einer Bezahlkarte es noch mehr erschwert, für sich Rechte (z.B. im Asylverfahren) in Anspruch zu nehmen. Sie werden leider mit einem ihnen monatlich zustehenden Bargeldbetrag von 50,00 € nicht in der Lage sein, für ihr Asylverfahren einen Rechtsanwalt zu nehmen.
Die häufigsten Kritikpunkte gegen die Bezahlkarte, die u.a. auch wir voll teilen:
Grundsätzlich: Leistungen nach dem AsylbLG werden36 Monate lang – und im Vergleich zum Bürgergeld um fast 20 %weniger- für Flüchtlinge geleistet. Dadurch ist eine Ungleichbehandlung unter Flüchtlingen aufgrund des sozialen Status gegeben.
Die Bezahlkarte ist integrationsfeindlich, stigmatisiert, diskriminiert, grenzt die Flüchtlinge aus: wie kann jemand, der nur 50,00 € Bargeld hat, einen Sprachkursbesuch finanzieren, wenn für ihn ein kostenloser Integrationskursbesuch nicht möglich ist?
Die Bezahlkarte oder „SocialCard“ erschwert die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, z.B. Vereinsmitgliedschaft, Taschengeld für Kinder und Jugendliche. Alle Geschäfte müssen ein Lesegerät haben; dies ist besonders in ländlichen Gegenden bei einigen Geschäften nicht gewährleistet.
Es ist nicht möglich mit der Bezahlkarte auf Flohmärkten, in Schul-Cafés, Rechtsanwaltskosten, Übersetzerkosten, Zuzahlungen für Medikamente – besonders für chronisch kranke Menschen – zu bezahlen.
Durch die Bezahlkarte ist Sparen von Bargeld nicht möglich, z.B. um dem eigenen Kind zum Geburtstag den Besuch einer Eisdiele mit seinen Schulfreundinnen und -freunden zu ermöglichen.
Die Bezahlkarte führt bei der Verwaltung zu noch mehr Arbeit und zu höheren Kosten, vielleicht mehr Personal oder Überstunden, vielleicht erhöhte Haushaltsmittel, um Belege zu sammeln, genau nachzusehen, wo eingekauft wurde … und wo bleibt dabei der Datenschutz für Flüchtlinge?
Das Selbstbestimmungsrecht wird abgeschafft: die Bezahlkarten können auf PLZ – Gebiete beschränkt werden. Dann könnten sich Flüchtlinge keine Zeitung mehr aus der Heimat im Bremer Hauptbahnhof kaufen (dies ist Gott sei Dank zurzeit nicht der Fall, aber nach einiger Zeit … wie wird es weitergehen?). Denn nirgendwo im Landkreis Diepholz ist es z.B. möglich, ausländische oppositionelle Zeitungen oder Zeitschriften zu kaufen. Frei und selbstbestimmt als Flüchtlinge am Zahlungsverkehr teilzunehmen wird durch die Bezahlkarte abgeschafft. In Deutschland redet man ja sehr viel vom Selbstbestimmungsrecht; warum soll es dieses Recht für Flüchtlinge nicht geben?
Freiheit und Freizügigkeit werden abgeschafft, wenn die Benutzung der Bezahlkarte auf die regionale Ebene der Wohnung/Unterkunft beschränkt wird (auch dies ist bisher nicht der Fall, aber wer garantiert uns, dass diese demnächst nicht eingeführt wird?). Gleichfalls wird die im Grundgesetz geschützte Reisefreiheit innerhalb von Deutschland dadurch für Flüchtlinge beschränkt. Und die Einkaufsmöglichkeiten könnten ebenso irgendwann einmal örtlich beschränkt werden.
Die Persönlichkeitsrechte werden durch die Übermittlung der Daten verletzt; und auch Sachbearbeiter können einen tiefen Einblick in das Konsumverhalten der Flüchtlinge bekommen, auch wenn das niedersächsische Innenministerium auf seinem Internetportal schreibt, dass es kein “Einsicht in den Kontostand des Leistungsberechtigten …“ geben wird (www.mi.niedersachsen.de). Aber selbst die Kontrolle der Leistungsausgaben ist nach unserer Meinung nicht im Einklang mit dem Datenschutz.
Verfassungsrechtlich steht dies auch im Widerspruch mit den Gesetzgebungen, denn das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gem. GG Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art.
GG 20 Abs. 1 ist durch unser Grundgesetz zu gewährleisten:
GG Art. 1, Abs. 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt…
GG Art. 20, Abs. 1: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
Auch Art. 3, Abs. 1 des Grundgesetzes besagt: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Wo bleibt dann diese Gleichheit für Flüchtlinge?
Selbst das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im Jahr 2012 klargestellt, dass auch Geflüchtete ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum haben, das auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfassen sollte. Daher ist u.a. die uneingeschränkte Verfügung über das eigene Bargeld vor dem Hintergrund der Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums zwingend zu gewährleisten.
Eurem Bezahlkartensystem entgegnen wir mit einem einzigen zu betonenden Satz: Es ist menschenrechtswidrig und deswegen stellen wir uns dagegen!
Die Folgen der Einführung der Bezahlkarte werden unserer Meinung nach sein, …
dass die Verarmung unter Flüchtlingen verstärkt zunehmen wird, vielleicht aber auch die Kriminalität.
Was möchten wir (als einzige säkular demokratische Migrantenselbst-organisation aus dem Landkreis Diepholz) tun?
Für alle interessierten bieten wir Aufklärung hinsichtlich des Asylbewerberleistungsgesetzes an, u.a. der Bezahlkarte, mit Rechten und Pflichten.
Wenn sich Flüchtlinge melden, um eine rechtliche Beratung und Betreuung hinsichtlich des Asylbewerberleistungsgesetzes zu bekommen (einzelfallbezogen), z.B. Widerspruch und Klage gegen Bescheide vom Sozialamt, werden wir sie dabei voll unterstützen, ohne sie an Rechtsanwälte weiter zu verweisen. Denn der Bargeldbedarf muss (auch nach Meinung mancher Sozialgerichte) individuell ermittelt werden. Daher dürfen (und sollen) Flüchtlinge ihren individuellen Bedarf an Bargeld gegenüber den Sozialämtern geltend machen. Wenn dies abgelehnt wird, können sie sich dann an die Sozialgerichte wenden.
Patenschaften (Umtausch von Gutscheinen gegen Bargeld) organisieren unter allen Interessierten im Landkreis Diepholz, darunter besonders unter Migranten und Flüchtlingen, z.B. in Form vom Einkaufsbegleitung. Übrigens: Das niedersächsische Innenministerium hat laut Medienberichten erklärt, das sei rechtlich zulässig und könne auch technisch nicht verhindert werden (Quelle: Mediendienst Integration vom 06.02.2025).
Welche Aktionen laufen bundesweit?
Auch viele Initiativen rufen deutschlandweit dazu auf, mit der Bezahlkarte in Supermärkten Gutscheine zu kaufen und diese dann bei Initiativen und Unterstützern gegen Bargeld einzutauschen; auch dieser Initiative schließen wir uns an.
Unsere Forderungen:
Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und damit der Bezahlkarte.
Gleiche soziale Rechte für alle sowie die Förderung einer gleich-berechtigten Teilhabe und eine an den Menschenrechten orientierte Flüchtlingspolitik; keine Prozesse der Abschottung sowie der Bildung von Parallelgesellschaften!
Verfasser: Rahmi Tuncer, Vorsitzender bei mosaik – Pro Asyl für den Landkreis Diepholz e.V. und Anatolisches Bildungs- und Beratungszentrum e. V. Bremen, Juni 2025

Herausgeber:
mosaik – Pro Asyl für den Landkreis Diepholz e.V.
Kontakt: Rahmi Tuncer
E-Mail: info@mosaik-transkulturell.de
Mobil: +49 152 02955320

In Kooperation mit:
Anatolisches Bildungs- und Beratungszentrum Bremen e. V.
Kontakt: Rahmi Tuncer
E-Mail: info@anadolu-bremen.de
Mobil: +49 15202955320

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