BlickWECHSEL Ausgabe Nr. 8

Ausgabe Nr. 8

Am 08.09.2024 wird eine neue Landrätin bzw. ein neuer Landrat für den Landkreis Diepholz gewählt. Zu der Wahl wurden zwei Kandidatinnen und zwei Kandidaten vorgeschlagen. Wer von ihnen im ersten Wahlgang die Mehrheit (mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen) bekommt, wird zum 22.09.2024 neue Landrätin bzw. neuer Landrat. Hat keine bzw. keiner der Kandidatinnen und Kandidaten die einfache Mehrheit erreicht, kommt es am 22.09.2024 zu einer Stichwahl unter denjenigen zwei Kandidatinnen und Kandidaten mit den meisten Stimmen.

Ulrike Tammen: zurzeit ist sie Kreisrätin, Mitglied in der SPD und tritt für die SPD bei der Wahl zur Landrätin an. Außerdem ist sie aktuell zuständig für den Bereich Integration der Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge, wovon wir bisher allerdings hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit säkular demokratisch geprägten Migrantenselbstorganisation nichts gemerkt haben!

Volker Meyer: seit mehreren Jahrzehnten Mitglied sowie stellvertretender Vorsitzender im CDU-Kreisverband Diepholz und Abgeordneter des Niedersächsischen Landtages. Als sogenannter „unabhängiger Kandidat“ wird er – neben der CDU – auch von der FDP im Landkreis Diepholz unterstützt.

Kristine Helmerichs: Mitglied des Bündnis 90/Die Grünen und seit mehreren Jahren in der Kommunalpolitik im Landkreis Diepholz aktiv.

Dann gibt es auch einen Landratskandidaten von der rassistisch – faschistischen Partei AfD, den wir als Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge sowieso nicht wählen dürfen. Nicht nur, weil die AfD einen homogenen Landkreis Diepholz haben möchte, also einen Landkreis ohne Ausländer, sondern u.a. auch deswegen, weil diese Partei grundsätzlich eine demokratie- und menschenfeindliche Partei ist. Dieses Ziel einer „homogenen“ Gesellschaft wird sie natürlich weder deutschlandweit noch im Landkreis Diepholz jemals erreichen können, aber sie wird das Zusammenleben zwischen einheimischen und ausländischen Menschen bundesweit und auch im Landkreis Diepholz weiter mit ihren demokratie- und menschenfeindlichen Ideologien vergiften.

Zum Aufgabenbereich der Landrätin, des Landrates gehören: der Vorsitz/die Leitung der Sitzungen des Kreistages,die repräsentative Vertretung des Landkreises, die Ausführung der Beschlüsse des Kreistages und die Erledigung der Rechts- und Verwaltungsgeschäfte. Nach jetziger Rechtsgrundlage dauert die Amtszeit der neu gewählten Landrätin bzw. des neu gewählten Landrates sieben (7) Jahre; also bis zum 31.10.2031!

Die zukünftige Landrätin, der zukünftige Landrat soll eine Verwaltung mit mehreren Fachdiensten leiten, zu denen unter anderem auch die Ausländer- und Einbürgerungsbehörde des Landkreises mit mehreren MitarbeiterInnen gehört. Damit wäre die Landrätin/der Landrat für uns als Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge – egal aus welchem Land wir stammen – und für unsere Anliegen die wichtigste Person und AnsprechpartnerIn; und zwar nicht nur hinsichtlich ausländer- und einbürgerungsrechtlicher Fragen, sondern für viele Fragen des alltäglichen Lebens, wie zum Beispiel Wohnen, Bildung und Weiterbildung, KiTas und Schulen, Ausbildung, Beruf, Arbeitsmarkt, soziale Leistungen, Integrationskurse etc.

So, wie bereits bei den vorangegangenen Bundestags-, Landtags-, Kommunal- und Landratswahlen im Landkreis Diepholz, haben wir auch dieses Mal wieder keine einzige Meinungsäußerung von den Kandidatinnen und Kandidaten der demokratischen Parteien wie SPD, CDU/FDP und dem Bündnis 90/Die Grünen zum zukünftigen Zusammenleben der Menschen mit und ohne Migrationshintergrund im Landkreis Diepholz hören können, obwohl mehrere tausend wahlberechtige Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge zur letzten Landratswahl entsprechend ihrer staatsbürgerlichen Pflichten gegangen sind und demokratische Kandidaten gewählt haben. Und auch dieses Mal werden sie zur Wahl gehen und über den neuen Landrat oder die Landrätin mitbestimmen!

Wir erwarten von der zukünftigen Landrätin/dem zukünftigen Landrat die Förderung der gleichberechtigten und zukunftsweisenden Gestaltung des transkulturellen Zusammenlebens im Landkreis Diepholz!

Um eine wegweisende Rolle in der Integrationspolitik spielen zu können, sollte die neue Landrätin/der neue Landrat nach unserer Meinung folgendes mitberücksichtigen:

Wir müssen im Landkreis Diepholz verinnerlichen, dass wir es – besonders bei denjenigen mit Fluchthintergrund – mit Menschen zu tun haben, die aus Ländern kommen, in denen es nie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegeben hat, wie z.B. Afghanistan, Irak, Iran, Syrien etc. Wir haben es auch mit Menschen zu tun, die aus bestimmten EU – Ländern (Bulgarien, Rumänien und Griechenland) kommen, die dort den ethnisch religiösen Minderheiten angehören (z.B. Romnja/Roma oder muslimische AlbanerInnen) und dort selbst – auch während der sogenannten „sozialistischen Ära“ – in vielerlei Hinsicht Benachteiligungen unterworfen waren (schulisch, beruflich, gesundheitlich etc.). Deswegen brauchen sie aufgrund ihrer oftmals damit verbundenen geringen schulischen und beruflichen Qualifizierung dringend eine „Orientierungshilfe für den Landkreis Diepholz“ zu Gesetzen, zum Schulsystem, Arbeitsmarkt, Rechten, Pflichten, Unterschiede und gängige Verhaltensnormen in Deutschland – Werte / Normen, Aufklärung über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und Aufklärung über die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Dass Frauen und Männer gleiche Rechte in der Gesellschaft haben, ist leider für viele aus diesen Ländern nicht normal, weil es in deren Gesetzgebungen genug rechtliche Bestimmungen zur Benachteiligung und zur Nichtgleichstellung der Geschlechter vorhanden sind. Auch eine Aufklärung über den positiven gesellschaftlichen Umgang mit Menschen verschiedener geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierung ist dringend nötig, weil auch für solche Lebensweisen in diesen Ländern weder in der Gesetzgebung noch im gesellschaftlichen Leben eine rechtliche Gleichstellung bisher gewährleistet ist. In manchen Ländern gibt es nicht nur Benachteiligungen und Diskriminierungen, sondern ist sogar die Todesstrafe gesetzlich verankert, wie beispielsweise in Syrien, Iran, Irak oder Afghanistan. Deshalb sind es viele Menschen leider nicht gewohnt, dass es eine gesetzliche Gleichbehandlung unabhängig von Herkunft, Religion oder Lebensweise gibt.

Des Weiteren sollte unser Meinung nach auch die religiöse Toleranz dringend sowohl im schulischen Bereich als auch im gesellschaftlich religiösen Leben angegangen werden.

Demgegenüber betrachten wir Diskussionen über und Forderungen nach einer Leitkultur unangebracht, und zwar insbesondere dann, wenn darunter Assimilation verstanden wird. Denn dies führt nicht zu einer erfolgreichen Integration; die Forderung, dass sich Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete der sog. christlich – abendländischen Leitkultur anpassen sollen, widerspricht auch der in Deutschland geltenden Rechtssicherheit.

Wenn jedoch eine Diskussion über Leitkultur dahingehend geführt wird, die deutsche Sprache zu lernen und die Gesetze zu achten, werden alle Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete im Landkreis Diepholz kein Problem damit haben.

Die zukünftige Landrätin/der zukünftige Landrat sollte ohne Wenn und Aber dazu beitragen, den Respekt vor der Muttersprache, Religion und Kultur der Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge im Landkreis Diepholz zu fördern und dies auch gegenüber der Bevölkerung vertreten, beispielsweise durch ein Grußwort an die Menschen islamischen Glaubens zum Ramadan oder an die orthodoxen Christen zu ihrem Weihnachtsfest.

Um den immer mehr zunehmenden Rassismus, Rechtsextremismus, Nazi – Aktivitäten zu bekämpfen, sollte die Landrätin/der Landrat auf die propagierten Vorurteile, wie zum Beispiel: „Ausländer leben auf Kosten der Deutschen“, eingehen und verstärkt die positiven Aspekte der „AusländerInnen“ auch hier für den Landkreis Diepholz benennen: denn nicht nur in vielen großen Städten in Deutschland alleine, sondern auch hier im Landkreis Diepholz gibt es inzwischen eine migrantische Mittelschicht von eingebürgerten und nichteingebürgerten Menschen, die Restaurants, Döner – Läden, Änderungsschneidereien, Friseursalons, KFZ – Werkstätten, Arztpraxen und Apotheken besitzen. Und sie beschäftigen Menschen, geben ihnen Arbeit, zahlen, wie jeder andere auch, ihre Steuern, die wiederum in die Städte und Kommunen einfließen und damit zu Wohlstand und Weiterentwicklung beitragen.

Für eine gelingende Integration, besonders der in den letzten Jahren gekommenen Flüchtlinge, muss man den Flüchtlingen Teilhabe-möglichkeiten auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens ermöglichen …

Es gibt unserer Meinung nach zwei Wege, besonders die schulische, berufliche, kulturelle und gesellschaftliche Integration zu erreichen, um dadurch Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen die „deutsche Kultur“ näherzubringen:

  1. immer wieder Begegnungen (Projekte) in allen Städten und Gemeinden des Landkreises zu schaffen;
  • verpflichtende, informelle Kurse zur (Erst-)Orientierung – vor allem für neu Angekommene und auch in der Muttersprache in allen Städten und Gemeinden des Landkreises zu organisieren: über Deutschland, hinsichtlich der individuellen Lebensformen, über den Begriff der Familie, Single – Leben, alleinerziehend, Patchwork-Familien, sexuelle Orientierungen, geschlechtliche Identitäten, Grundrechte der Menschen – unabhängig von Volks- und Religionszugehörigkeit, Inhalte des Grundgesetzes, Wertesystem der Gesellschaft – Traditionen der „deutschen“ Bevölkerung, Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Religionen und religiöse Toleranz etc.

Rückblickend auf die Vergangenheit, zu Zeiten als Herr Gerd Stötzel Landrat des Landkreises Diepholz war, erinnern wir uns an gemeinsame Veranstaltungen und Feste, an Grußworte in Broschüren von und für Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge und an die Einbeziehung dieser Menschen in fast alle Angelegenheiten des Zusammenlebens. Dies war damals möglich!

Später dann, am 09.07.2012 wurde bei der Verfassung der Leitziele für die Politik und die Verwaltung des Landkreises ein Zusammenleben aller Menschen im Landkreis Diepholz, geprägt von „Generationengerechtigkeit, Integration und Inklusion“, beschlossen. Wir als Migrantenselbst-organisation fragen uns, was mit der Umsetzung dieses Leitzieles geschehen ist. –

Aber wir haben nicht nur Erwartungen an die neue Landrätin/den neuen Landrat im Bereich der Integration. Wir erwarten ebenfalls von den Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen, sich ohne Wenn und Aber hier im Landkreis Diepholz integrieren zu wollen, indem sie

  • ihre Bereitschaft zum Lernen in allen Bereichen des Lebens zeigen,
  • sich darum bemühen die deutsche Sprache zu lernen und zu beherrschen, wenn ihnen diese Möglichkeit gegeben wird,
  • sich für eine erfolgreiche schulische und berufliche Bildung ihrer Kinder einsetzen, wenn sie dabei Unterstützung finden,
  • den Willen zur ökonomischen Eigenständigkeit zeigen, wenn sie auch die Möglichkeit bekommen, sich zu qualifizieren, weiterzubilden,
  • die deutsche Rechtsordnung akzeptieren, die Religion, Kultur, Gesetze und sozialen Normen der „Mehrheitsgesellschaft“ respektieren.

Verfasser: Rahmi Tuncer, Vorsitzender von Mosaik – Pro Asyl für den Landkreis Diepholz e.V., August 2024

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